Es hätte heute also die große Trendumkehr eingeleitet werden sollen. Ein Ruck sollte durch die eigenen Reihen gehen. Eine visionäre Rede war erwartet worden. Gerecht wurde die Rede Spindeleggers diesem Anspruch nicht. Inhaltlich wurde nicht wirklich Greifbares geboten: Forschungsquote von 3% auf 6% erhöhen. Ohne zu sagen wie man es finanziert. Demokratiepaket umsetzen. Ohne zu sagen mit wem, da ja die SPÖ da nicht mitspielen wird (bedauerlichweise). Boni für AMS-MitarbeiterInnen die erfolgreich Jobs ermitteln. (Was die Frage aufwirft wofür AMS-Betreuer denn jetzt eigentlich bezahlt werden). Schulden abbauen (ohne zu erwähnen, dass die ÖVP als Regierungspartei jedes Jahr der letzten 25! neue Schulden mitgetragen hat). Steuerquote senken. Aber erst nachdem Schulden gesenkt wurden. Wie realistisch das ist, sei einmal dahingestellt.

WERTE also. Verlässlichkeit, Tradition, Offenheit, Fleiß. Wenn auf der realen Ebene nix weitergeht flüchtet man auf die Meta-Ebene. Eine Plakatkampagne soll helfen den Österreichern diese „ÖVP-Werte“ näherzubringen. Auffällig: Warum ist Spindelegger nur auf einem der zahlreichen Sujets zu sehen?

Die ÖVP ist in einer schweren Krise und sie versucht dieser Krise Herr zu werden. Als Linker hat man natürlich seine diebische Freude daran. Vor allem wenn man sieht wie unfähig die ÖVP dieser Herausforderung begegnet. Viele meiner schwarzen Bekannten sagen: Naja, in Zeiten wie diesen hat es eine konservative Partei halt schwer. So frei nach dem Motto: Egal wie sie es machen, sie können es eh nur falsch machen.

Das sehe ich nicht so. Ich bin der festen Überzeugung, dass die ÖVP in Österreich durchaus das Potential hätte, stimmenstärkste Partei zu werden. Dazu müsste die Partei aber in der Lage sein sich und die eigenen Positionen zu hinterfragen und die richtigen Schlüsse daraus zu ziehen.

Laptop und Lederhose hat die CSU vorgemacht. Was würde dies umgelegt auf die ÖVP bedeuten? Dies möchte ich anhand einiger Themengebiete aufzeigen:

GESELLSCHAFTSPOLITIK / FAMILIE

Die Familienpolitik der ÖVP ist verzopft konservativ. Sowohl Familien-, als auch Frauenbild der ÖVP sind alles andere als zeitgemäß. Die Unfähigkeit und Ignoranz sich der Realität anzupassen erinnert manchmal an die katholische Kirche.

Dabei wäre es doch nicht so schwer: Wahlfreiheit für Frauen durch die Schaffung von Kinderbetreuungsplätzen. Eine moderne ÖVP müsste rund um die Uhr für die Wahlfreiheit der Frauen und BESTE Kinderbetreuung kämpfen. Und nicht diese zu verhindern suchen. Um die (ohnehin kleiner werdende) wertkonservative Wählerschaft nicht zu vergraulen, könnte man noch immer mit Wordings wie z.B. „Wir glauben, dass es für das Kind am besten ist, wenn die Mama zuhause bleibt. Aber wir wollen allen die Möglichkeit geben, so zu leben, wie sie es für richtig halten.“

Selbiges gilt für das Feld Patchwork-Familien, gleichgeschlechtliche Paare etc. Eine Familienpartei kann ja betonen, dass für sie das Ideal Vater-Mutter-Kind ist, ohne dabei andere Lebensformen zu diskriminieren. Öffnung der Zivilehe für gleichgeschlechtliche Paare, Modernisierung des Adoptionsrechts. „Wir wollen Familien fördern und Familie heißt für uns im Idealfall Vater-Mutter-Kind. Andere Lebensformen finden aber genauso unseren Respekt.“

Welchen Nachteil erleidet ein ÖVP-Wähler wenn Schwule und Lesben heiraten dürfen? Was ereidet ein ÖVP-Wähler wenn eine Lesbe das Kind ihrer Partnerin aus einer vorangegangen Beziehung adoptieren würde? Was geht es den Staat eigentlich an, ob sich eine Lesbe künstlich befruchten lassen will oder nicht? Kann eine familien- und kinderfreundliche Partei wollen, dass eine Mutter (wenn auch nicht leiblich) kein Auskunftsrecht im Krankenhaus hat und rechtlich eine Null-Beziehung zum „eigenen“ Kind hat? Cui bono? Niemandem. Also weg mit diesem verstaubten Zugang! So schnell wie möglich.

WIRTSCHAFTSPOLITIK / STEUERN

Die ÖVP macht Politik für Großkonzerne, Banken und Industrielle. Auch wenn man ständig die Wichtigkeit von Klein- un Mittelunternehmen betont: De facto leiden diese unter den viel zu hohen Lohnnebenkosten, bürokratischen Hürden und einem leistungsfeindlichen Steuersystem. Es waren die konservativen Parteien die dem Neoliberalismus erlegen sind. Deregulierung. Privatisierung. Das Ergebnis ist bekannt. Die Zeiten wo man von sozialer Marktwirtschaft gesprochen hat sind längst vorbei. Stieglitz, Krugman und Co. weisen ständig darauf hin, dass es die Schieflage zwischen Finanz- und Realwirtschaft ist, die die Wurzel aller Übel ist. Die ÖVP hat sich vor geraumer Zeit dazu entscheiden auf der Seite der Finanzwirtschaft zu stehen. Christlich-sozial ist hier gar nichts mehr. Die Caritas lebt christlich-soziale Werte und wirkt im Vergleich der Realpolitik der ÖVP wie eine kommunistische Kampforganisation. Wenn die ÖVP von Leistung spricht meint sie nie die Arbeitsleistung, denn dank der absurd hohen Besteuerung von Arbeitseinkommen, ist es de facto unmöglich ein Vermögen anzuhäufen. Was also müsste die ÖVP tun um wieder in die Spur zu finden?

Den Leistungsbegriff ernst nehmen! Wer etwas leistet (arbeitet) muss dafür belohnt werden. Bei angespannter Haushaltslage führt dies zu einem zweiteiligen Zugang, wenn es darum geht dies zu finanzieren: Abbau von Bürokratie (ohne den Wohlfahrtsstaat zu gefährden, Stichworte: Verwaltungsreform, Vorschläge des Rechnungshofes) und ein Ende mit der Bevorzugung von leistungslosen Einkommen.

Wer LEISTUNG fordert, muss LEISTUNG belohnen. Eine ÖVP, die eine massive Steuersenkung für Arbeitseinkommen, bei gleichzeitiger Belastung von leistungslosen Einkommen, fordern würde, so eine ÖVP, hätte enorme Chancen. Wel sie glaubwürdig wäre. Mit einem Schlag. Eine ÖVP die Erben als Leistung sieht hingegen, so eine ÖVP braucht niemand. Weil Erben genausowenig eine Leistung ist wie Spekulation. Nachhaltiges Wirtschaften wäre der modern-konservative Zugang. Ein Zugang, der in der Bevölkerung mehrheitsfähig wäre.

ÖKOLOGIE / UMWELTSCHUTZ

Josef Riegler war der „Erfinder“ der öko-sozialen Marktwirtschaft. Mittlerweile ist die Partei weder öko noch sozial. Sustainability ist eines der größten Themen unserer Zeit. Eine ÖVP, die sich gerne heimatbewusst, traditions- und naturverbunden gibt. Und dann eine derart umweltfeindliche Politik macht? Wäre die ÖVP klug, würde sie das was in Oberösterreich passiert auf Österreich umlegen. Stichwort: Green Jobs. Stichwort: „Unseren Kindern eine bessere Welt hinterlassen“. Wer Umweltschutz, nachhaltiges, ökologisches Wirtschaften als links-grüne Träumerei abtut, hat nichts verstanden. Konservativ im besten Sinne würde bedeuten, dass man alles tut um den Zustand unsere Wälder, unserer Seen und Flüsse zu „erhalten“. Doch es passiert das Gegenteil: Kyoto ist ein Desaster, Strafzahlungen in Milliardenhöhe in den nächsten Jahren sind sehr realistisch. Verantwortlich: ÖVP-Umweltminister.

Eine ÖVP, die den ökologisch-sozialen Weg Rieglers gehen würde…… So eine ÖVP würde manche Bürgerskinder, die jetzt noch Grün wählen, zurückgewinnen. Wetten?

SOZIALPOLITIK / CHRISTLICH-SOZIALE WERTE

Status quo: 1 Mio Menschen von Armut bedroht. Steigende Arbeitslosigkeit. 2-Klassen-Medizin. Eine ÖVP, die sich ihrer christlich-sozialen Wurzeln bewusst wäre, würde hier „Halt!“ rufen. Sie würde alles unternehmen, damit jeder und jede die Chance auf sozialen Aufstieg hat. Durch Eigenleistung natürlich. Aber de facto passier hier gar nix. Die ÖVP stellt jeden Sozialtransferbezieher unter Generalverdacht ein Schmarotzer zu sein. Anstatt sich um das Problem der Steuerhinterziehung zu kümmern, deren Schaden um ein paar Potenzen höher ist als der Sozialmissbrauch, schießt man sich auf die Ärmsten der Armen ein. Und man macht jedem der einmal in eine missliche Lage kommt ein schlechtes Gewissen gleich dazu. Was sollte die ÖVP also tun? Die ÖVP müsste ein Sozial- und Gesundheitssystem fordern und Vorschläge liefern wie dies am effizientesten zu organisieren wäre. Ohne jemanden zurückzulassen. Und auch ohne Rücksicht auf Landeshauptleute und Lokalpolitiker. Würde die ÖVP sagen: unser Ziel ist, dass jeder die Chance hat sozial aufzusteigen. Und wenn er es beim ersten Mal nicht schafft, dann soll er oder sie noch eine zweite Chance kriegen. Und auch eine Dritte wenn es sein muss. Und: es müsste die ÖVP sein, die Partner einer Armutskonferenz ist. Es müsste die ÖVP sein, die alles tut, damit Altersarmut beherrschbar wird.

BILDUNG / UNIVERSITÄTEN

Wir haben das Gymnasium verteidigt! Bravo. Und auf die Hauptschule haben wir Mittelschule drauf geschrieben. Unsere Kindern sollen ja bitte gefälligst nicht mit irgendwelchen Ausländerkindern in die Schule gehen müssen. Und in Wien ist das sowieso am ärgsten. So ungefähr ist die Linie bzw. die Stimmung der ÖVP.

Traditionell sind Mitglieder des Cartellverbandes (CV) und des Mittelschülerkartellverbandes (MKV) die dominierenden Kräfte in der Volkspartei. Spindelegger, Amon, Töchterle, Kopf, Khol, Berlakovich. Alle. Die Studentenverbindungen haben 4 Prinzipien: amititia (Freundschaft), religio (Bekenntnis zur kath. Kirche), patria (Heimatliebe) und SCIENTIA (Wille zur Fortbildung, zum lebenslangen Lernen). Wie geil ist das denn? Die gesamten Männer der ÖVP-Spitze sind einem Wert verpflichtet den sie mit Füßen treten.

Solange die ÖVP die Bildungsfrage ideologisch lösen will scheitert sie. Und zurecht. Es gibt nur eine Maßgabe: Die beste Bildung für unsere Kinder. Die besten Universitäten für unsere Jugend. Eine Volkspartei MUSS hier einfach die Themenführerschaft anstreben. Was glaubt die ÖVP mit ihrer Position zu gewinnen? Eine Frage die sich viele stellen. Ich weiß es nicht.

Eine ÖVP, die sagen würde: Wir wollen das beste Bildungssystem der Welt. Egal was es kostet. Unsere Kinder und unsere Jugend sind unsere Zukunft: Jeder Euro den wir in Bildung investieren kommt mehrfach zurück. So eine ÖVP wäre mit einem Schlag zukunftsfit.

FAZIT

Die skiziierten Positionen, angereichert mit einer glaubwürdigen Demokratie-Offensive und mit dem Anspruch Politik transparenter und bürgernäher zu machen: Das wäre ein gangbarer Weg für die ÖVP. Natürlich auf Werten aufgebaut. Aber man muss die Werte die man ausspricht auch mit Leben erfüllen. Im Moment lebt die ÖVP diese Werte schlichtweg nicht. Die ÖVP sagt LEISTUNG und agiert leistungsfeindlich. So wie die SP GERECHTIGKEIT sagt und ungerechte Maßnahmen durchzieht.

Auch im Jahr 2012 ist in Österreich für eine moderne, konservative Partei, die stolz auf ihre Werte ist, neue Lebensrealitäten akzeptiert und toleriert, und wachen Auges in die Zukunft schreitet, genug Platz. So eine Partei hätte dank schwacher Gegner auch das Zeug Nummer 1 zu werden.

Aber dazu müsste erst der Klientelismus und der Glauben an die eigene Unfehlbarkeit aufgegeben werden.

Es bleibt zu hoffen, dass die ÖVP die Chance erhält, sich in der Opposition neu aufzustellen und in der Jetzt-Zeit anzukommen.