57% der ÖsterreicherInnen glauben nicht mehr an die Reformierbarkeit des politischen Systems und sind für „einen Umsturz“. Mehr als 3/4 halten „alle“ politischen Parteien und Akteure im Grunde für korrupt. Die Wahlbeteiligung sinkt dramatisch, Hunderttausende wenden sich von der Politik ab und es werden täglich mehr. Sie verweigern sich bewusst, weil sie „denen“ einfach nicht mehr trauen.

Weil sie glauben, dass „es eh wurscht ist wen man wählt“. Weil: „Ändern tut sich sowieso nix.“ „Schauen eh alle nur, dass sie ihre Schäfchen ins Trockene bringen“. Und: „In der Politik sind eh nur Schweine und jede versucht am Trog die fetteste Sau zu werden“. „So kanns nimma weitergehen, aber was soll man schon tun?“ Alles Zitate aus täglichen Begegnungen im Alltag. Sind diese repräsentativ? Abgesehen von der Ausdrucksweise: Ja, sind sie. Und in weiten Teilen sind diese Meinungen nicht nur legitim, sondern treffen auch zu.

Fast jede/r Zweite kann sich vorstellen einer neuen Partei die Stimme zu geben und Vertrauen zu schenken. Vertrauen, das die bestehenden politischen Parteien verloren haben. Die Piraten erleben einen Höhenflug und nicht zu unrecht besteht die Meinung unter Politologen, dass im Momemt jede Bewegung, die „frech, jung und vor allem ANDERS (als „die da“)“ genug ist, valide Chancen hätte 2013 in den Nationalrat einzuziehen. Der Platz auf jeden Fall ist da. Für mehr als einen. Gerüchte, dass es Kräfte in der IV gibt die sich eine Wirtschaftspartei wünschen, wollen nicht verstummen. „Österreich spricht“, Stronach-Partei, das Feld ist unübersichtlich geworden. Johannes Voggenhuber und einige seiner Mitstreiter denken daran aus MeinOE eine Partei zu machen. Die Piraten sind schon da. Und dann gibt es noch einige, kleine, aber motivierte die es halt auch versuchen werden. Weil die Zeit dazu so günstig zu sein scheint wie noch nie.

„Rudi, mach doch eine Linkspartei!“. Wenn ich jedes Mal, wenn ich diesen Satz höre, 10 EUR bekommen würde, dann, ja dann wäre ich ein reicher Mann. Meist gepaart mit dem österreichischen Konjunktiv: „Es warat super, wenn du..!“ – „Ich tät das voll unterstützen,…“ – „Ich würde im Hintergrund, weil weißt eh, öffentlich…!“ – „Da müsste es ja genug Leute geben, die…“.

Eine linkspopulistische Kraft hätte ja durchaus Charme: Man könnte Rot-Schwarz unter 50% drücken und den Aufstieg der FPÖ bremsen. Das Potential wäre ohne Zweifel vorhanden. Das klingt schön, ist es wirklich so?

Aber jetzt mal ernsthaft: In Österreich eine Partei zu gründen ist eine nahezu aussichtlose Sache. Ausnahmen gibt es. Die Piraten gibt es seit 2006, wären die Piraten in Deutschland nicht erfolgreich, was dann? Dann würde die Piratenpartei in Österreich noch genauso bekannt sein wie in den Jahren 2006 bis zum Einzug der Berliner Piraten in den Berliner Senat. Nämlich ungefähr gleich bekannt wie der Listenführer der Bürgerliste einer kleinen oberösterreichischen oder steirischen Gemeinde.

Ein neues Projekt bräuchte entweder viel Geld, oder es müsste mediengetragen sein. Ha! Mediengetragen? In Österreich bestimmen ORF und die 3 großen Boulevardzeitungen die mediale Landschaft. Im ORF oder in den Boulevardmedien vorzukommen ist unmöglich. So unmöglich -was die Boulevardmedien betrifft- auch wieder nicht, solange man sich einkauft. Also wieder das Geldthema. Fazit: Die Piraten haben eine Chance, weil sie medialen Rückenwind aus Deutschland haben. Stronach hätte das Geld, aber „Milliardär kauft sich Partei“ ist halt nicht so die super-glaubwürdige Geschichte. Und alles andere würde es verdammt schwer haben die Füße auf den Boden zu kriegen.

Wir wählen aus Tradition! Nämlich aus Tradition das geringste Übel. Ganz selten wählt jemand von uns aus Überzeugung. Weil „das Richtige“ für jeden was anderes ist. Und so komme ich zur Frage: Was wäre eigentlich „das Richtige“ für mich? Welche Partei würde ich gründen, wenn mir jemand total viel Kohle geben würde? Welche Partei würde ich total gerne wählen?

Eigentlich finden wir Parteien ja eh kacke, also nennen wir das ganze Ding mal Bewegung. Man muss nämlich nicht als Partei zu einer Wahl antreten, sondern kann dies auch als Wahlliste tun. Nur als Partei bekommt man hingegen in den Genuss der Parteienförderung und daher gründet man in der Regel eine.

Nachdem ich ja tendenziell glaube, dass es schon mal reichen würde, wenn sich die bestehenden Parteien redemokratisieren, öffnen und aus der Geiselhaft ihres Klienteldenkens befreien würden, würde ich mir eine Bewegung wünschen, die nur ein Ziel hat: möglichst rasch wieder überflüssig zu werden. „Wir wollen die notwendigen Reformen anstossen, die Demokratie wiederbeleben und dann wäre unser Ziel erreicht und wir lösen uns auf.“

Der Name einer Partei ist mir mal relativ egal. Aber nennen wir meine Wunschpartei zum Zwecke unseres Gedankenspiels einmal: „Die Reformdemokraten.“

Wie der Name schon sagt, hätte diese Partei 2 zentrale Themen: Reformen und Demokratie.

Reformen – egal ob im Verwaltungs-, Gesundheits-, oder Bildungswesen: „alle“ sind der Meinung, dass hier etwas weitergehen soll. Und wenn man sich der Reform dieser Bereiche undogmatisch nähert käme man relativ rasch zu einer Lösung. Das wäre aber nicht österreichisch, weil die Politiker nun mal ihre Dogmen und Ideologien so fest in sich verankert haben, dass sie nicht in der Lage sind sich davon zu lösen. Wobei meist ist es gar nicht mehr die eigene Ideologie, sondern vielmehr das machtpolitische Denken „seine“ Pfründe zu sichern. Dass Reformen und Entscheidungen durchaus konsensual getroffen werden können, beweist uns die Kommunalpolitik täglich.

Demokratie – die Redemokratisierung der Europäischen Union und Österreichs müsste zentraler Anspruch dieser Bewegung sein. Weil man es einfach nicht länger hinnehmen kann, dass ein paar Regierungschefs ohne demokratische Legitimation über das Schicksal eines ganzen Kontinents entscheiden. Weil es nicht sein kann, dass auf nationaler Ebene die BürgerInnen darauf reduziert werden, alle 5 Jahre ihr Kreuzerl zu machen. Es braucht mehr (direktdemokratische) Partizipationsmöglichkeiten und zwar so rasch wie möglich. Und das auf allen Ebenen.

Diese Bewegung müsste natürlich auch in ihrem Innenleben „Demokratie“ als Wert ernst nehmen: Organe und Programm sind basisdemokratisch zu wählen, volle Transparenz selbstverständlich sein. Dazu gehört natürlich die Offenlegung der Parteifinanzen, der Vermögens- und Einkommensverhältnisse der Mandatarinnen, volle Transparenz bei Parteispenden.

Ich würde gerne eine Bewegung wählen, die nicht stromlinienförmig agiert. Die das freie Mandat ernst nimmt und den Klubzwang verabscheut. Mit dem Ergebnis, dass man nicht immer einheitlich abstimmen wird. Wozu auch? Kann jeder oder jede zu jedem Thema ein und dieselbe Meinung haben? Das wäre mal erfrischend.

Diese Bewegung sollte „Selbstverständliches“ nicht betonen müssen. Beispiele: Für einen halbwegs normal denkenden Menschen sind viele Dinge einfach selbstverständlich: dass Frauen und Männer gleiche Rechte haben (ergo gleich viel verdienen sollten); dass In- und Ausländer „gleich viel wert sind“; dass es den Staat nix angeht, wen man liebt und heiraten möchte (Stichwort: „Homo“-Ehe); dass nur ein gemeinsames, starkes Europa die Herausforderungen der Zukunft meistern wird können.  Das würde ich bei einer neuen Bewegung einfach mal voraussetzen.

Eine neue Bewegung müsste auch Ungemütliches servieren und in der Vergangenheit Bewährtes, in der Gegenwart aber kaum mehr aufrecht zu Erhaltendes, zu reformieren versuchen. Eine Sozialpartnerschaft, die es schafft, dass die arbeitenden Menschen seit 20 Jahren Reallohnverluste in Kauf nehmen müssen, hat ausgedient. Daher ist es nur logisch die Macht der Kammern zu hinterfragen und das Volk in einer Abstimmung über die Pflichtmitgliedschaft abstimmen zu lassen. Der ORF gehörte endlich „in Bürgerhand“. Es gibt genügend Beispiele wie man das machen könnte, ein Anfang wäre ein neues Gesetz, das ausschließlich der Erfüllung des öffentlich-rechtlichen Auftrages gewidmet ist. Folgerichtig müsste ein neues ORF-Gesetz dafür sorgen, dass jedwede parteipolitische Spielchen der Vergangenheit angehören.

Eine neue Bewegung müsste auch die Strukturen Österreichs aufbrechen: Wer braucht 9 Bundesländer? Richtig: die Landeshauptleute bzw. die Mandatsträger auf Landesebene. Den Menschen ist wichtig, dass der Staat funktioniert. Zum Funktionieren des Staates ist eine Landesebene von untergeordneter Bedeutung.

Im Bereich der Sozialversicherungen gäbe es verdammt viel zu tun. Wie überhaupt auf allen Spielwiesen der Parteien, die primär dem Zweck dienen die eigenen Parteigänger mit Posten zu versorgen – ob sie sinnerfassend lesen und schreiben können: zweitrangig.

Tatsache ist ja, dass unser Staat mit 300 Mrd Schulden de facto pleite ist, was automatisch bedeutet, dass neue Schulden einmal per se abzulehnen sind. Es ist nicht zuwenig Geld vorhanden, es ist nur völlig falsch verteilt. Eine neue Bewegung muss daher in Richtung Verteilungs- und Steuergerechtigkeit Maßnahmen vorschlagen, die das massive Ungleichgewicht in der Vermögens- und Einkommensverteilung in die richtige Richtung zu bewegen. Die Stoßrichtung: „Arbeit entlasten, arbeits- und leistungslose Einkommen belasten“.

Wo wir schon beim Finanz- und Bankensektor sind. Die Politik hat in den letzten 20 Jahren das Primat des Handelns an den Finanzsektor abgegeben, dieses Primat muss sich die Politik wieder zurückholen. Der Bankensektor muss auf sein Kerngeschäft reduziert werden, sprich: Einlagen annehmen, Kredite vergeben, Zahlungsverkehr sicherstellen. Logisch ist daher die Forderung nach einem Trennbankensystem. Für Geschäftsbanken sollte es unter bestimmten Kriterien weiterhin eine Einlagensicherung geben. Aber nur unter der Voraussetzung, dass sich die jeweilige Bank bestimmten Kriterien unterwirft. Wie z.B. Begrenzung der Managergehälter (Höhe des Gehalts des Bundespräsidenten), Boniverbot, Veranlagungsverbote für bestimmte Anlageklassen (wie z.B. Derivate). Für Investmentbanken darf und soll es keinerlei Haftung von seiten des Staates (und damit der Bürger) geben.

Die Politik der letzten Jahre hat zu einem massiven Ungleichgewicht im Verhältnis Realwirtschaft:Finanzwirtschaft geführt und dieses Missverhältnis wieder umzukehren muss eines der zentralen Anliegen einer neuen Bewegung sein.

Mobilität ist immer mehr und mehr denn je ein Thema. Jeder Steuerzahler wendet rund 2.500 EUR pro Jahr für die ÖBB auf, ohne ein Ticket gekauft zu haben. Wenn man will, dass die Menschen öffentliche Verkehrsmittel verstärkt nutzen, dann gibt es nur einen Lösungsansatz, der wirklich nachhaltig zu einer Veränderung führen wird: die Gratisnutzung der öffentlichen Verkehrsmittel.

Noch was: Es müsste eine Bewegung „der Jungen“ sein. Nachdem die Pensionisten mit 2,4 Mio Wahlberechtigten von allen anderen umworben werden und dies Teil unseres Problems ist, muss eine neue Bewegung genau am anderen Ende ansetzen. Und klar ansprechen was Sache ist: dass unser Pensionssystem, dass ASVG-Versicherte deutlich benachteiligt und Beamte übervorteilt, so nicht mehr zeitgemäß ist. Vertrauensschutz hin, Vertrauensschutz her. Pensionen, die keiner versicherungsmathematischen Logik unterliegen, gehören gekürt. Dies trifft in erster Linie für Beamtenpensionen über der ASVG-Höchstpension zu. „Das geht mit dem Vertrauensschutz ja nicht“. Vergesst den Vertrauensschutz – der Staat muss Reformen setzen und das wird ohne eine Neuregelung des Pensionssystems nicht funktionieren. Und diese Reformen werden nur dann von allen mitgetragen und erduldet, wenn tatsächlich alle betroffen sein werden.

Nun, es gibt ja Parteien die Teile dieser Überlegungen teilen:  Die Piraten lieben die Basisdemokratie (müssen aber erst einen Weg finden wie man damit handlungsfähig wird), die Grünen haben grundvernünftige Vorstellungen in manchen Bereichen, haben aber ihre Radikalität aufgegeben; ÖVP und SPÖ haben durchaus interessante Punkte im Programm (würden sie ihr eigenes Programm ernst nehmen), sind aber in ihrer Reformunfähigkeit gefangen. Die Rechtsparteien sind, naja, sind bei wenigen Dingen hörenswert, in der Regel aber inhaltlich nicht ernst zu nehmen.

Wie könnte ein Wahl- oder Aktionsprogramm einer neuen Bewegung aussehen?

  • Reformen jetzt – beste Bildung, effiziente Verwaltung, effektives Gesundheitssystem
  • Mehr Demokratie – mehr direkte Demokratie, Transparenz, Mitbestimmung!
  • Strengstes Korruptions-, Lobbyisten- und Parteienförderungsgesetz der Welt
  • Parteibuchwirtschaft zurückdrängen! – Parteienförderung um 30% kürzen!
  • Mehr Steuergerechtigkeit! – Vermögenssteuern rauf, Arbeitssteuern runter!
  • Gratisnutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln
  • Bürgerrechte stärken! – Weg mit ACTA, VDS und Co.
  • Banken auf das Kerngeschäft reduzieren

Zu dieser Liste kann man natürlich noch einiges hinzufügen.

Wie auch immer. Mit so einem Programm wäre eine Bewegung 2013 wohl fix im Nationalrat. Ein Schaden für unser Parteiensystem wäre eine temporär befristete Bewegung auch nicht, im Gegenteil.

Was wär diese Bewegung im klassischen Links-Rechts-Parteienschema: für manche wär‘ sie linkspopulistisch, für andere linksreformistisch; objektiv wohl so etwas wie eine linksliberale oder sozialliberale Bürgerrechtspartei oder so.

Und für mich wählbar wär so eine Bewegung auch. Aus Überzeugung. Und nicht als geringstes Übel.

Vom Gedankenspiel wieder in die Realität: es wird wohl eine der Optionen Grün, Piraten, KPÖ oder Weiß-Wählen werden.

P.S. Es ist nur ein Gedankenspiel. Mehr nicht. Im Prinzip genügten Grüne mit mehr Mut zur Radikalität; oder eine SPÖ, die sich ihrer Wurzeln besinnt und sich selbst rebootet;  oder Piraten, wenn sie Mut zu Struktur und Handlungsfähigkeit haben.