[Es gab einiges an Kritik an meinem Blogbeitrag „Die neuen Juden aus der Löwelstraße“, und zwar nicht aufgrund des Inhalts, sondern aufgrund der Konotation mit dem Strache-Sager. Auf jene Rücksicht nehmend, die das so sehen, habe ich ihn ein wenig modifiziert]
Wie jedes mal vor Wahlen, werden Parteien von www.wahlkabine.at eingeladen, ihre Positionen zu einzelnen Themen in Frage-Antwort-Form bekannt zu geben. Das Ganze ist als eine Art Wahlhilfe gedacht, die mitunter zu „lustigen“ Ergebnissen führen kann, sprich: Man sieht relativ deutlich, wie weit Realität und Anspruch bei manchen Parteien auseinanderklaffen. Nach erfolgter Regierungsbildung des Kabinetts Faymann II haben sich die Damen und Herren von ATTAC die Arbeit gemacht und die Positionen des Regierungsprogramms auf www.wahlkabine.at eingegeben. Eigentlich um herauszufinden, wer mehr seiner Inhalte durchbringen konnte. Man war quasi auf der Suche nach der roten bzw. schwarzen Handschrift und der Schriftstärke der beiden Kugelschreiber. Das Ergebnis ließ die NGO-Aktivisten sprachlos zurück. Auch nach mehrmaliger Überprüfung stand fest: Der eindeutige Gewinner und dies mit Abstand ist die FPÖ.
Übrigens: Auch eine sehr aufwändige Visualisierung von Christopher Clay kommt zu einem sehr ähnlichen Ergebnis.
Kurzum, wie man es dreht und wendet: Die SPÖ hat den Kanzler behalten, aber dafür so gut wie alle Versprechen am Altar der Macht geopfert. Dies sehen so gut wie alle Leitartikler des Landes so, die Mehrheit der Bevölkerung sowieso. Das Kabinett Faymann II und dessen „Programm“ ist aktuell unbeliebter als Schwarz-Blau. Und wir alle wissen noch, wie unbeliebt Schwarz-Blau heutzutage nach dem Auffliegen von Korruptionsskandalen im Akkord ist.
Man hat so viel versprochen. Einen neuen Stil. Den großen Wurf. Echte Reformen. Glaubt man den Experten der jeweiligen Bereiche wurde nichts davon gehalten. Mehr noch: Alle Beobachter bezichtigen der Regierung, ob des akut aufgetauchten Budgetlochs der Lüge. Man kann also durchaus sagen, dass diese Regierung so ziemlich alles versemmelt, was man versemmeln kann. Man kann aber auch die Realität ausblenden und das Kunststück vollbringen Augen, Ohren und Mund gleichzeitig mit zwei Händen zuzuhalten. Dies schafft der Kommunikationschef der SPÖ in seinem Gastkommentar in der Tageszeitung „DIE PRESSE“ vom heutigen Tage. Unter dem Titel: <Wie wär’s denn einmal mit „Opposition neu“?> schwadroniert der Genosse Realitätsverweigerung, dass „Österreichs Oppositionsparteien… dem demokratischen Systen SCHWEREN SCHADEN zufügen“ würden. Und zwar durch „destruktives Regierungsbashing“ einerseits und durch die „Kriminalisierung der Politik“ andererseits. Willkommen in der Löwelstraße, wir sind die neuen Juden. Nicht nur, dass man das Geschäft der FPÖ besorgt und deren Politik macht. Das reicht der SPÖ nicht. Nein, man muss auch noch durch Reformunfähigkeit, Streben nach Machterhalt und sukzessiver Aufgabe der Grundwerte dafür sorgen, dass die grausliche Strache-FPÖ am besten Weg ist Nummer 1 in der Polit-Arena zu werden. Und zum Drüberstreuen begibt sich der Kommunikationschef der SPÖ (nein, nicht der Sozialdemokratie, denn dies sind längst zwei unterschiedliche Dinge geworden!) nun in die Opferrolle. Böse Opposition, haut die Regierung immer grundlos. Pfui!
Der Autor führt dann weiter aus, dass man das Regierungsabkommen in seiner Wahrhaftigkeit und Größe nicht bejuble, sondern kritisiere. Ach, ich kann mich an den Jubel der SPÖ und die konstruktive Kritik am Regierungsprogramm der Kabinette Schüssel noch erinnern. Das waren halt noch Zeiten. Da war man sogar so konstruktiv, wegen der Grundwerte warats, der Verschärfung des Fremden- und Asylrechts zuzustimmen. Von wegen destruktiv. Konstruktiv! Und wie das auf www.wahlkabine.at bewertet werden würde? Eh klar.
Also was jetzt? „Destruktives Regierungsbashing?“. Merkwürdig, wo Faymann doch stets stolz darauf verweist, dass mehr als 80% der Beschlüsse des Nationalrates EINSTIMMIG beschlossen werden? So ein destruktives Gesindel, diese Opposition. Diese Opposition, die, wie der Kommunikationsoberchiefgenosse schreibt, „durch die Kriminalisierung der Politik“ diesem demokratischen System so schweren Schaden zufügt. Aha. Es waren also nicht Grasser, Androsch, Blecha, Burgstaller, Dörfler, Scheuch, Mayr, Mensdorff-Pouilly, Meischberger, Rumpold und Co. oder gar Elsner, Flöttl oder andere. Und schon gar nicht waren es diejenigen, die unser Steuergeld verwaltend so mir nichts, dir nichts, einmal halt 40 Mrd an „Prognoseloch“ übersehen haben. Nein, die wirklichen Falotten sitzen in der Opposition. Die sind sogar so destruktiv, dass sie auf das Einhalten des Versprechens von SPÖ und ÖVP bestehen, das Einsetzen von Untersuchungsausschüssen zu einem Minderheitenrecht zu machen. Na sicher nicht. Außer, wenn es vorher einen Notariatsakt gibt, dass die Opposition darauf verzichtet jemals davon gebrauch zu machen.
Im Artikel erfährt man auch, dass der ehemalige Sprecher von Darabos Wikipedia kennt und ausführt was nun Opposition bedeute. Ich erspare dem geneigten Leser auszuführen, was denn nun „Regierung“ begrifflich bedeutet, könnte aber durchaus ausführen, warum Österreich eine Reagierung und keine Regierung besitzt. Auch nicht notwendig, ist weithin bekannt.
Aber was ficht das den Ober-Kommunikations-Strategie-Guru-Löwelchairman an? Er schreibt: „Dass Nichtvorhandensein ernsthafter inhaltlicher Reflexion ist demokratiepolitisch bedenklich.“ Wohlan, hier hat er absolut recht. Aber auch nicht, denn er meint damit die Opposition, nicht seinen Chef Faymann. Es wäre auch zu vermessen, unserem Bundeskanzler die Fähigkeit zu ernsthafter Reflexion zu unterstellen. Die feine Klinge wäre es auf jeden Fall nicht, da allzu leicht als dumpfer Scherz erkennbar.
Also, weil diese furchtbare, arbeitsfaule Opposition die Regierung immer haut, es wagt Korruption beim Namen zu nennen, genau deswegen nämlich resultiert „die Konsequenz…. eine(r) immer tiefer gehende(n) verachtung der Bevölkerung für die Politik im Gesamten……(und) eine Schwächung jener Institutionen, auf denen unsere Demokratie aufgebaut ist.“
S-C-H-U-L-D-I-G! Man sollte alle Oppositionellen am besten erschießen. Oder der Opposition zumindest das Recht an Abstimmungen teilzunehmen absprechen. Denen fehlt einfach der Respekt. Und außerdem sind sie viel zu blöd zu erkennen, dass die wahren Leuchten, die wahre Intelligenzija des Landes an der Spitze dieser Regierung stehen. Schuldig im Sinne der Anklage also. Aber so was von!
Und ebenso schuldig sind die Medien natürlich. Also alle außer Krone, Heute und Österreich. Aber alle anderen. Man sollte diese Journalisten… und die Bevölkerung erst.
Wie kann man nur an den Aussagen dieses Mannes zweifeln, der in der Löwelstraße die Geschicke der stärksten Partei des Landes mitlenkt? Ja, die Opposition ist schuld an „destruktivem Regierungsbashing“, „der Kriminalisierung der Politik“ und fügt dadurch dem „demokratischen System schwerden Schaden“ zu und als Konsequenz führt das Verhalten der Opposition zu einer „immer tiefer gehenden Verachtung der Bevölkerung für die Politik im Gesamten“.
Nein, auch wenn das manche Wahnsinnige glauben wollen, folgende Dinge haben damit nichts zu tun:
- Konsequentes Brechen von Wahlversprechen (SPÖ: Vermögenssteuern, Mindestlohn, Steuerentlastung, Ganztagsschule u.v.m. ÖVP: Wirtschaft entfesseln, KEINE neuen Steuern, Steuerentlastung u.v.m.)
- Die Bescheidenheit von Nationalbankpensionisten und/oder Menschen wie Josef Cap
- Die Tatsache, dass das Parlament nur die verlängerte Werkbank der Regierung ist und der Klubzwang brutalst durchgezogen wird
- Die Unfähigkeit, als Regierung zu wissen, wie viele Schulden unser Land hat und/oder die Frechheit dies dem Auftraggeber und Eigentümer, uns SteuerzahlerInnen also, zu verschweigen und nach Auffliegen dieser Lüge uns auch dann noch zu verhöhnen
- Die absolute Chuzpe im Bildungs-, Gesundheits-, Pensions- und Verwaltungsbereich NULL weiterzubringen
- Die wahnwitzige Idee in Zeiten sinkender Realeinkommen, sinkender Pensionen die Parteienförderung de facto zu verdoppeln
- Die Strategie der SPÖ auf die Interessen der Jungen zu ********, weil man die Wahl mit den Stimmen der PensionistInnen eh auch gewinnen kann
- Die Strategie der ÖVP so zu tun, als gäbe es das 21 Jahrhundert gesellschaftspolitsch einfach nicht
- Die offenkundige Frechheit mit der ein Bundeskanzler in den Steuertopf greift bzw. greifen lässt, um damit Inserate in Boulevardmedien zu schalten und dann nicht den Mut zu haben vor einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss auszusagen.
- Die Art und Weise wie in Österreich Ministerposten besetzt werden: Nicht nach Qualifikation, sondern einfach irgendwie. Geschlecht, Bundesland, Vorfeldorganisation. Nicht: Qualifikation, Erfahrung, Track Record.
- Dass Laura Rudas Bildungssprecherin und Maria Fekter Kultursprecherin ihrer jeweiligen Parteien werden.
- Die Arroganz den ORF im Eigentum der beiden Parteizentralen zu glauben.
- Das beschämende Faktum, dass 20% unserer Jugendlichen nach dem Verlassen der Schule nicht ordentlich lesen/schreiben können und daran nichts verändert wird.
- Beliebig fortsetzbar.
Also: Ich darf die Opposition bitten endlich in sich zu gehen und „Opposition neu“ zu leben.
Und jetzt ernsthaft: Wenn die SPÖ eine Zukunft als prägende Kraft im 21. Jahrhundert anstrebt, sollte sie schleunigst eine inhaltliche und personelle Kehrtwende durchziehen. Dies aber bitte nicht, weil man so glaubt mehr Macht sichern zu können, sondern aus der inneren Überzeugung, dass in Zeiten eines jahrzehntelangen Verteilungskampfes um Ressourcen, eine Kraft, die kompromisslos die Interessen der besitzlosen Mehrheit vertritt, das wohl notwendigste und ehrbarste ist, was dieses Land und diese Welt bräuchte.
Damit das gelingen kann, muss man zuallererst ehrlich sein, seine eigenen Fehler und Irrwege der Vergangenheit erkennen und voller Demut vor diejenigen treten, die ihre Hoffnungen in eine starke Sozialdemokratie setzen, und reinen Herzens sagen: „Wir bitten um Entschuldigung.“
Es kann nicht gelingen, wenn man so wie Stefan Hirsch es tut, ständig das Unverteidigbare zu verteidigen.