Ja, ich schieße hin und wieder über das Ziel hinaus. Das ist mir durchaus bewusst, aber genauso weiß ich, dass ohne ordentliches nach oben drehen des Volume-Knopfes kaum Gehör gefunden wird. Wir leben nun mal in dieser Art von Wohlfühlgesellschaft, die fröhlich Richtung Boden taumelnd, drei Meter vor dem Aufprall noch ein fröhliches „Eh alles in Ordnung“ trällert. (Danke, Joesi Prokopetz für dieses Bild)
Wir leben mit einer Art und Form der Politik, die Denkende wütend oder lethargisch macht. Wir diskutieren mit Vertretern dieser Politik, die unsere Argumente nicht hören wollen. Wir setzen uns mit Nutznießern dieses Systems auseinander, die uns ob ihrer eigenen Versorgungssicherheit ständig erklären, dass wir das ja alles falsch sehen würden.
Whatever. Man kann, geschicktes Marketing vorausgesetzt, alles verkaufen. Man kann aus Sch***** also Gold machen. In Österreich, speziell wenn es um die österreichische Politik geht, wird uns folgendes vorgegaukelt: Die jeweiligen Regierungen nehmen ein steuergeldfinanziertes Parfum-Flakon in die Hand und beduften den immer größer werdenden Haufen. Und dann wird uns die Botschaft überbracht: Voilà, schaut wie gut wir regieren. Der Denkende weiß aber, dass der Haufen nun zwar wunderbar duftet, aber noch immer da ist.
Ich habe in diesem Jahr viele Diskussionen mit Menschen geführt, denen ich glaube, dass ihnen die Zukunft Österreichs, unserer Gesellschaft und der Demokratie ein Anliegen ist. Wir haben philosophiert, über Versäumnisse, Herausforderungen, Probleme und auch Gelungenes gefachsimpelt. Bei einem dieser Gespräche wurden wir unterbrochen, von einem Mann, der uns um etwas Geld gefragt hat. Er hat uns seine Leidensgeschichte erzählt: Scheidung, Schulden, Arbeitsplatz verloren, Wohnung verloren, Alkohol.
Als er uns verließ, habe ich folgende Frage an die Runde gerichtet (die Runde bestand überwiegend aus Politikern, unterschiedlicher Couleurs, sowohl Landtags-, als auch Nationalratsabgeordnete): „Sagt’s einmal, was habt Ihr eigentlich dieses Jahr getan, damit es keine Obdachlosen mehr gibt?“ – Die Reaktion war ein beschämendes Schweigen.
Ich hab nachgehakt. „Oder was anderes. Was hast Du, lieber X., dieses Jahr in Deiner Funktion als Nationalrat, als Vertreter Deines Volkes, getan, damit Wohnen wieder leistbar wird?“ – Das Schweigen wurde lauter.
„Wissts, eigentlich hat der Rudi recht. Wir diskutieren die ganze Zeit hochtrabende Dinge, anstatt uns eigentlich um das zu kümmern, was den Menschen wichtig ist.“, sprach Einer. „Ja eh.“, die Anderen.
Christian Rainer hat in seinem aktuellen Leitartikel richtigerweise geschrieben, dass sich die Menschen, die unter ökonomischem Dauerdruck stehen, die täglich ums Überleben und Durchkommen kämpfen, nicht um Politik kümmern, kaum Zeit zur Reflexion haben. Genau diese Menschen aber, sind darauf angewiesen, dass repräsentative Demokratie funktioniert. Sie wählen sich Vertreter. Vertreter, die mit ihrem Geld darauf schauen sollen, dass „alles funktioniert.“ Das „Alles“ ist für jeden was anderes. Für Liberale soll „Alles“ möglichst wenig, für SPÖler „Alles“ möglichst alles sein – von der Wiege bis zur Bahre.
Wir wählen uns also Vertreter. Vertreter, die unsere Interessen wahrnehmen. Die „den Staat“ organisieren. Was ist der Staat eigentlich? Warum herrscht so eine Feindlichkeit „dem Staat“ gegenüber? Das habe ich mich oft gefragt, weil es mir hier ähnlich geht wie beim Thema Europa. Wie kann man gegen Europa sein, so man doch selbst in Europa lebt? Dann wäre man ja quasi gegen sich selbst. Und ähnlich dachte und denke ich, wenn es um „den Staat“ geht. Der Staat sind doch wir alle!? Darauf kommt von Liberalen und Konservativen oft der Einwurf, dass der Staat „die da oben“ seien. Mit „die da oben“ sind aber nicht die Reichen und Mächtigen gemeint, sondern die Günstlinge des Systems. Die Frauen und Männer, die davon leben das richtige Parteibuch zu haben und/oder die richtigen Frauen und Männer zu kennen. Es sind die Frauen und Männer, die ihren Auftrag vergessen haben; die keine Demut kennen; kein Verantwortungsgefühl „uns“ gegenüber. Wieso soll ich denn so viele Steuern zahlen, wenn „die da oben“ ohnehin zu blöd sind diesen Staat zu organisieren? „Es geht denen ja ohnehin nur um sich selbst und nicht um uns.“ Ich verstehe, dass man das so sehen kann. Und ich teile die Meinung, dass die herrschende Klasse dafür gesorgt hat, dass dieses „Wir sind der Staat“-Gefühl verschwunden ist. Dieses „Wir sind der Staat“-Gefühl ist aber die Voraussetzung für ein funktionierendes Staatswesen, weil nur so Verantwortung, Solidarität und Verbundenheit entstehen kann. Ich gebe zu, dass ich mittlerweile auch das Gefühl habe, dass „die da oben“ sich unseren Staat zu ihrem Staat gemacht haben und dass es höchst an der Zeit wäre, Österreich wieder zum Staat seiner Bürger zu machen.
Kurz zurück zu diesem Bettler. Es gibt ja in Österreich 800.000 Menschen, die sich das durchgehende Heizen im Winter nicht leisten können. Wie viele von den 800.000 gehören zu „denen“, die in Kammern, im Staatsdienst, in Ministerien, (halb)-staatlichen Betrieben, Gewerkschaften etc. arbeiten? Niemand.
Warum verdienen Menschen, die „im System“ arbeiten, so viel mehr als der Durchschnitt? Weil sie eben „im System“ sind. Loyalität hat in einer Parteiendemokratie für Parteien eben einen hohen Wert, den alle anderen mit bezahlen müssen.
Was wünsche ich mir also, oder besser gesagt: Was fordere ich ein?
Ich fordere, dass sich Politiker wieder um das kümmern, wofür wir sie brauchen und wählen. Um unsere Interessen zu vertreten und sonst nichts. So möge sich jede/r Politiker/in dieses Landes, auf allen Ebenen, aber vornehmlich in den Positionen, die eine gewisse Gestaltungsmacht mit sich bringen, folgende Dinge fragen:
- Habe ich dieses Jahr etwas dazu beigetragen, um Wohnen in diesem Land leistbarer zu machen?
- Habe ich dieses Jahr etwas dazu beigetragen, um die Bildung und damit die Zukunft unserer Kinder nach vorne zu bringen?
- Habe ich dieses Jahr etwas dazu beigetragen, um den Pflegenotstand zu beheben und dafür zu sorgen, dass jeder Staatsbürger in Würde altern kann?
- Habe ich dieses Jahr etwas dazu beigetragen, um die Kluft zwischen Arm und Reich zu verringern?
- Habe ich dieses Jahr etwas dazu beigetragen, um die Zahl jener, die sich das Heizen im Winter nicht leisten können deutlich zu verkleinern?
- Habe ich dieses Jahr etwas dazu beigetragen, dass die Mehr-Klassen-Medizin abgeschafft wird und wir alle Zugang zu Top-Leistungen haben?
- Habe ich dieses Jahr etwas dazu beigetragen, dass die Steuerlast sinkt und wir das uns verantwortete Geld so verantwortungsvoll und effizient wie möglich einsetzen?
Man könnten noch viele dieser Fragen stellen.
Die Politik kümmert sich um ihren eigenen Machterhalt. Die Akteure braten im eigenen Saft. Das kostet uns nicht nur viel Geld, sondern auch unsere Zukunft.
Ich will das „Der Staat sind wir“-Gefühl zurück. Damit das gelingt, müssen „die da oben“ umdenken. Oder sie müssen weg.
Prosit Neujahr und viel Gesundheit, Erfolg und Glück im Jahr 2014.