Ich musste mich verlesen haben. Schaute noch einmal hin. In der Tat, da stand es: „Ich fahre täglich in die Arbeit, weil sich Millionen Arbeitslose und „Flüchtlinge“ auf mich verlassen“.

In weißen Lettern auf der Rückseite eines Volvo. Im Waldviertel. Am Hauptplatz der Bezirkshauptstadt Gmünd. Ok, hier fährt ein Trottel, kann man sich denken und liegt damit wohl richtig. Aber was zum Teufel ist hier los?

Ich musste mich verhört haben. Doch nein, eben haben sie es noch einmal wiederholt. „Ich versteh sowieso nicht, wozu die mehr brauchen als ein Butterbrot am Tag. Höchste Zeit, dass man denen alles abnimmt. Sollen froh sein, dass wir sie leben lassen, das Gsindl.“

Zwei Ehepaare im Pensionsalter, wohl ausgestattet mit fetter Pension, die unsereins nie mehr erhalten wird. 5 Stern-Hotel, Ungarn. Kronen Zeitung in der Hand. Ok, das sind halt bornierte Trottel, das löst sich eh biologisch. Aber was zum Teufel ist hier los?

Ich konnte es nicht glauben. Ein Apotheker erklärt mir nach drei Achterln Weißwein: „Es wäre ganz einfach, junger Mann. Wir stellen uns an die Grenze und wenn jemand über die Grenze kommt, dann schießen wir einfach. Wenn einmal die erste Reihe liegt, dann kommt keiner mehr.“

Die Nachfrage, ob er das den ernst meint hab ich mir geschenkt. Er meinte es ernst. Was zum Teufel ist hier los?

Drei Anekdoten.

Man dreht den Fernseher auf. Man hört einen jungen Mann, der es zu Österreichs Bundeskanzler gebracht hat. „Wir müssen verhindern, dass sich Menschen illegal auf den Weg machen.“ Das Volk nickt. Wohl meist nicht wissend, dass es keine legale Möglichkeit gibt nach Europa zu kommen.

Dann sieht man den österreichischen Vizekanzler. Er macht ganz Stolz ein Foto mit seinem italienischen Freund Matteo. Matteo will Rom von „Zigeunern“ säubern, er bedauert, dass man die nicht einfach wegbringen kann. Und weil Matteo ein lustiger Bursche ist, bezeichnet er Flüchtlinge als Menschenfleisch.

Ein Freund des Vizekanzlers, er sitzt in der oberösterreichischen Landesregierung, besucht die deutsche AFD. Die AFD heißt AFD, weil die Bezeichnung NSDAP rechtlich wohl nicht hielte und weil das zu viele Buchstaben wären. Da sind drei Buchstaben einfacher. Die Menschen von der AFD sprechen schon mal Nazisprech, eigentlich sehr gerne. Man spricht davon, dass man keine Gnade walten lassen werde, man droht dem politischen Gegner offen mit dessen Auslöschung. Und auch der Freund des Vizekanzlers verwendet so hippe Worte. Man müsse den öffentlichen Rundfunk neutralisieren. Auch wenn man sich dafür Orbanisierung vorwerfen lassen müsse.

Viktor Orban also. Auf den dürfe man nicht hinabschauen, sagt unser Bundeskanzler. Der schert sich zwar nicht um den Rechtstaat, akzeptiert, dass seine Jobbik-Freunde Menschenjagd auf Roma und Sinti-Familien abhalten, aber hey, er hat einen Zaun gebaut. Und Zäune mag Sebastian gern. Er war schon immer für Zäune, auch schon, als alle anderen dagegen waren. In der Abwehr der Schwächsten war Sebastian nämlich immer schon ein Starker gewesen.

Viktor mag keine Flüchtlinge. Er nimmt auch keine auf. Geld mag Viktor gern. Das nimmt er. Milliardenweise. Von der EU, die sich nicht auf eine Flüchtlingsverteilung innerhalb ihres Gebiets einigen kann. Auf 500 EU-Bürger kommt 1 Flüchtling. Das ist nicht zumutbar. Dieser Umvolkung muss man entschieden entgegentreten.

Die AFD übrigens bezeichnet Matteo, Sebastian, Viktor und HC als die wahren Freunde der AFD. Die CSU sei kein wahrer Freund, weil zu links. Der Söder Markus kann das nur schwer glauben, wo er sich doch so bemüht. „Asyltouristen, die ein Asylgehalt wollen.“ Übersetzt: Menschen, die vor Krieg oder Hunger fliehen und denen man halt das Notwendigste gibt. Touristen also. Das S in CSU steht übrigens nicht für Sautrottel, sondern für sozial.

Sozial sind sie alle. Wenn es um ihre Freunde geht. Und nein, Flüchtlinge gehören nicht zu den Freunden von Sebastian, HC, Matteo, Viktor und ihren Mitstreitern. Die Freunde sitzen in der Industrie. Sie zahlen die Wahlkämpfe der Kämpfer für den kleinen Mann und aus Dankbarkeit verteilt die lustige Bubenbande dann das Geld der Unter- und Mittelschicht nach ganz oben. Bubenbande ist nicht ganz richtig. Es gibt der AFD noch Alice Weidel. Lesbisch, aber gegen die Homo-Ehe. Schöner kann man seinen eigenen Hirntod ohnehin nicht öffentlich zelebrieren.

Die Länder Europas ächzen also unter dieser Flüchtlingskrise, weil es eben nicht zumutbar ist, dass wir, denen es ohnehin nicht sooooo gut geht, hier über Gebühr leisten. 500 EU-Bürger, 1 Flüchtling. Man darf die Menschen nicht überfordern.

Das sagen übrigens auch sozialdemokratische Parteien mittlerweile. Ja nicht überfordern. Sobald ein Flüchtling auf sagen wir 400 EU-Bürger kommt, Europa wäre wohl unwiderbringlich verloren. Aus die Maus.

Nun, das alles ist leider keine fiktive Erzählung. Das spielt sich tatsächlich gerade so ab. Und: Eine Mehrheit der Menschen, die an Wahlen teilnehmen darf und auch hingeht will das genau so.

Zurück zum Anfang.

Was zum Teufel ist hier los?

Aussagen der extremen Rechten, die man vor zwanzig Jahren nicht einmal ernst genommen hätte sind heute Mainstream. Das vermittelte Menschenbild ist keines, das sich mit den Werten der Aufklärung vereinbaren lässt. Wie konnte es soweit kommen? Gute Frage. „Man“ hat es zugelassen. „Man“ hat es nicht ernst genommen. Zuerst hat man die extreme Rechte ignoriert und belächelt, dann hat man ihre Themen übernommen und irgendwann auch deren Positionen. Und da stehen wir jetzt.

Was fehlt? Das klare NEIN.

Flüchtlinge sind Menschen, die ihr Leben verbessern wollen. Sie fliehen vor Krieg, Zerstörung, Verfolgung. Oder aus Hunger. Oder, weil sie keine Lebensperspektive haben. Ist das verwerflich? Würde nicht jeder vernunftbegabte Mensch so handeln?

Es sind Menschen. Wir haben zugelassen, dass wir sie entmenschlichen. „Animals“ seien sie, sagt Trump. „Menschenfleisch“, sagt Matteo. Wir haben zugelassen, dass unteilbare Menschenrechte relativiert werden. Ein Verbrechen. Ein zivilisatorisches Versagen erster Klasse. Wo auch immer jemand glaubt, meint, sagt, artikuliert, dass er „mehr wert“ sei, als ein anderer Mensch, dann muss man ein klares NEIN sagen.

Man muss die Hilfe vor Ort ausbauen, damit die nicht mehr kommen. Sagen Sebastian, Matteo und wahrscheinlich auch Alice. Das lustige ist nur: Die tun es nicht. Nichts tun sie. Wo bleibt denn die Hilfe vor Ort? Sie bleibt eine widerliche Lüge in den Ausführungen der Salvinis, Straches, Gaulands, Kickls, Kurz´.

Die tun ja so, als wäre es Gottes großer Plan, dass wir in Europa geboren wurden und nicht in Afrika. Selber schuld die Neger. Was kommens auch in Afrika auf die Welt. Und darum müssen wir uns vor dem Ansturm dieser „Untermenschen“ schützen. Bauen wir Zentren vor Ort. Dort dürfen sie ihren Asylantrag stellen und wir bescheiden ihn dann negativ.

Wer hat denn Afrika jahrhundertelang ausgebeutet und beutet es heute noch aus? Es waren wir. Und es sind wir. Wir zerstören ihre Lebensgrundlagen, wir fischen ihre Gewässer leer, nehmen ihnen ihr Ackerland, aber immerhin verkaufen wir ihnen unsere Waffen. Da sind wir nicht so. Immer nur nehmen, aber nie geben. Das ist die Welt, wie sie sich Sebastian und seine Freunde wohl vorstellen. Es ist eine Welt der niedersten Instinkte, des Egoismus, der Unmenschlichkeit.

Was sie mit Flüchtlingen tun, werden sie irgendwann auch mit uns tun, wenn sie können. Nach den Flüchtlingen kommen halt Migranten dran, die schon da sind. Siehe Kürzung der Kinderbeihilfe oder absurde Auflagen bei der Mindestsicherung. Das Gsindl soll Deutsch lernen, sonst gibts weniger Geld. Aber sicherheitshalber streichen wir die Deutschkurse, sonst lernt der Untermensch noch unsere Sprache.

Was zum Teufel ist hier los?

Entsolidarisierung. Darum geht es doch im Kern. Wo jeder nur auf sich schaut, schaut man nicht auf andere. Und wenn man nicht auf andere schaut, werden einem die anderen irgendwann egal. Und wenn uns die anderen egal sind, dann sind wir verloren.

Wir alle wollen eigentlich dasselbe: Ein gutes Leben. Und das Absurde ist ja, dass dieser Wunsch keine Vision bleiben muss, sondern durchaus erfüllbar wäre. Aber da müsste man teilen und jeder müsste im Geiste der Solidarität seinen Anteil dazu beitragen. Das Lustige ist ja, dass gerade Sebastian, Matteo, Alice und Co. von jenen finanziert werden, die im Geld schwimmen und die auch wollen, dass das so bleibt. Gehts den Spendern gut, gehts dem Matteo, dem Basti und dem Viktor auch gut. Politiker verkaufen sich ans Großkapital, führen das Stück „Wir für den kleinen Mann. Gemeinsam gegen die noch weiter unten.“ auf und liefern nach erfolgter Wahl an die da oben.

Am Spielfeldrand steht die Sozialdemokratie und raunt: „Naja, das hätt ma auch noch zsammbracht. Und so unrecht haben die eh nicht. Mit der Kürzung der Mindestsicherung, mach ma halt mehr Sachleistungen. Das mit den Lagern in Afrika ist eine gute Idee. Und ehrlich gsagt, der 12- Stunden-Tag ist jetzt nicht so schlimm, aber ok, marschieren wir mal auf, weil eigene Themen suchen ist grad im Sommer eh so mühsam. Und ja, mein Gott, es ist eh unfair, dass 1% jetzt 50% der Immobilien besitzt, aber im internationalen Vergleich gehts uns eh gut. Und manche Sachen kannst halt nicht ändern. Aber der Ton gegenüber Flüchtlingen ist schon grauslich. Wobei man schon aufpassen muss, dass die sich an unsere Regeln halten, gell! Grauslich, diese Rechten. Im Burgenland sinds nicht grauslich, da koalieren sie mit uns. Eigentlich wären die eh nicht so schlimm. Aber jetzt schon. Wir sind schon dagegen, aber nicht gegen alles, weil ein bissl recht hat die Regierung schon. Man muss schon auf die eigenen Leute schauen. Und unsere Werte sind auch wichtig, alles kann man da nicht tolerieren. Wir übernehmen einfach die weniger grauslichen Sachen und vielleicht klappts dann.“

Weg mit dem „Ja eh“. Was fehlt ist: das klare NEIN.

Am Stammtisch. In der Familie. Am Arbeitsplatz. In jeder Diskussion.

Es reicht nämlich.

Ich habe keine Lust dabei zuzusehen wie Europa, unsere Art zu leben, unsere Werte, unsere liberale Demokratie, unsere offene Gesellschaft letzlich, einfach so zerstört werden. Mischen wir uns ein. Noch ist nicht alles verloren.