Wir alle wissen, dass es so nicht weitergehen kann und es einen umfassenden Neustart braucht. Neu bedeutet auch, dass der Schnitt mit der Vergangenheit hart ausfallen muss, damit der Neustart als solcher glaubwürdig ist. Kritik zu üben und Rücktritte zu fordern, ist das eine. Zurecht verlangen viele ein Konzept, was nun zu tun ist und wie die neuen Roten der Zukunft ausschauen sollen. Wie sie arbeiten werden, wie sie sich organisieren und vor allem eine Frage klar zu beantworten: Wofür steht man und für wen macht man Politik. Das sind die zentralen Fragen, die sich schon lange stellen.

Die Herausforderung besteht darin, einen finanziell kaputten, personell geschwächten, ideologisch ausgedünnten Wahlverein wieder zu einer Bewegung zu machen. Man muss aus einer Partei, die zur Partie verkommen ist, die prägende politische Bewegung des Landes machen. Keine kleine Aufgabe. Man steht vor der Entscheidung, ob man eine 10-15%-Partei werden will oder jetzt die Perspektive wechselt und sich bewusst Zeit für eine Neuaufstellung nimmt, um so mittel- und langfristig wieder die Chance auf 30 bis 40 Prozent zu haben.

KLARE MISSION
Die neuen Roten sind die kompromisslosen VertreterInnen all jener, die nicht von ihren Kapitaleinkommen leben können, sondern von ihren Arbeitseinkommen leben müssen. Unabhängig davon, ob man angestellt oder selbständig ist. Wir sind die radikalen Freunde der Leistung und der Solidarität. Jeder soll es schaffen können. Jemand, der will, aber nicht kann, wird niemals in Armut leben müssen. Einkommen, die mit der eigenen Leistung verbunden sind, werden niedriger besteuert als Kapitaleinkommen.

FEHLER KLAR BENENNEN (AUCH DIE EIGENEN)
Wir lieben Österreich, eh klar. Und wir kennen die Statistiken, die uns zeigen, dass es uns im internationalen Vergleich großartig geht. Doch wir kennen auch die Realität.

Wir sind ein reiches Land, das zulässt, dass…

… hunderttausende Menschen in Armut leben und mehr als 1,5 Mio Menschen armutsgefährdet sind.
… die Kaufkraft der einfachen Leute sinkt. Was verdiente ein Angestellter oder Arbeiter vor fünfzehn Jahren, was kostete die Wohnung damals? Was verdient er heute und wie haben sie Lebenserhaltungskosten entwickelt? Und wo sind diese ganzen Produktivtätsgewinne hin?
… die heute 20-, 30-, 40-, 50-jährigen, wenn sie nur die Pension als einziges Einkommen und kein Vermögen haben oder keine Eigentumswohnung ihr eigen nennen können, in Altersarmut leben werden.
… wir in der Bekämpfung der Klimakrise zu den Nachzüglern gehören. Eine Peinlichkeit!
… Wohnen im urbanen Raum unleistbar wird und einen inakzeptabel hohen Anteil des Monatseinkommens frisst. Da reden wir nur von der Miete, im Eigentumsbereich können nicht einmal mehr Gutverdiener eine Familienwohnung kaufen.
…1% rund 50% der Immobilien besitzt und dieses 1% ebenfalls 40% des Vermögens hält. Da geht es um Summen, die sich kein Mensch der Welt verdient haben kann, auch wenn er es gekriegt hat.
… man mit dem notwendigen Kleingeld im Gesundheits- und Justizsystem bessergestellt wird. Sei es bei der schnellen Hüft-OP oder mit zwanzig Anwälten als Beschuldigter gegen einen überforderten Staatsanwalt.
… die Löhne teilweise skandalös niedrig sind und die Belastungen für EPUs, Klein- und Mittelbetriebe im bürokratischen Bereich und vor allem bei den Arbeitgeberkosten viel zu hoch sind.
… sich Parallelgesellschaften gebildet haben und Integration viel zu selten gelungen ist. Aus mangelndem Interesse unsererseits, weil wir „eh nur“ Gastarbeiter gebraucht haben. Aus falsch verstandener Toleranz hat man bei viel zu vielen verfassungsfeindlichen Aktivitäten weggesehen und war beim politischen Islam genauso wie beim Rechtsextremismus viel zu lasch. Man hat aus Machtdenken die Zusammenarbeit mit von der Türkei gesteuerten Vereine gesucht. Man hat den Menschen im Land, die Sorgen und Angst geäußert haben nicht zugehört, sondern sie abgekanzelt.

Wir haben einfach viele Probleme und leben in einem de facto gescheiterten Finanz- und Wirtschaftssystems. Unsere Demokratie ist ebenso gefährdet, denn Kapitalinteressen haben die Interessen des Gemeinwohl längst überwunden. Dem gilt es etwas entgegenzustellen.

DER ÖSTERREICHISCHE TRAUM
Es braucht eine Vision hinter der sich alle versammeln können. Man mag in Detailfragen unterschiedlicher Meinung sein. Man muss nicht alles teilen. Diese Idee einer Welt, die wir gemeinsam anstreben, muss auch innere Konflikte hintanstellen, weil die Idee der Bewegung größer ist als jedes einzelne Mitglied.

Ich denke an Österreich 2050, das ist in 30 Jahren. Die Klimakrise hat unser Land verändert, wir kämpfen täglich gegen die Folgen, um diese zu beherrschen. In Teilen des Landes ist Ackerbau aufgrund des Wassermangels nur mehr eingeschränkt möglich. Die Kosten für die Bekämpfung der Naturkatastrophen sind stark gestiegen, die KollegInnen des Technischen Hilfswerks sind im Dauereinsatz. Am Anfang waren viele skeptisch gewesen, dass das Technische Hilfswerk wirklich ein funktionierender Ersatz für das Bundesheer sein soll, doch es funktioniert hervorragend. In den Städten haben wir kaum wieder erkennbare Gebäude. Die Fassaden sind begrünt, die Straßen werden gekühlt, alle Wohnungen sind klimatisiert. Trotzdem ist der CO2-Ausstoß gesunken, weil der gigantische Ausbau des öffentlichen Verkehrs und die vollständige Decarbonisierung des Autoverkehrs ihre Wirkung zeigen. International haben wir führend das Verbot von Kreuzfahrtschiffen durchgesetzt, mittlerweile fahren sie wieder mit einem Co2-neutralen Antrieb. Hätten wir von dreissig Jahren nicht gedacht. Die Städte schauen auch viel lebenswerter aus als jetzt. Die Menschen sind freundlicher, entspannter, das Phänomen Burn-Out ist merkbar zurückgegangen. Die Menschen arbeiten 30 Stunden pro Woche und können gut davon leben. Es gibt einen gesetzlichen Mindestlohn, der sich nicht an der Armutsgrenze bemisst, sondern an dem, was jemand braucht, um ein gutes Leben führen zu können. Wir besteuern Arbeit heute so niedrig wie nie zuvor in der Geschichte. Sämtliche Kapitaleinkommen werden nun höher besteuert als die Arbeit. Durch die Politik der 2030er-Jahre, die radikale Senkungen bei der Belastung des Faktors Arbeit brachte, wurde ein gewaltiges Wirtschaftswachstum erzeugt. Die KMUs und EPUs des Landes schaffen mehr Arbeitsplätze als je zuvor, Gewinne werden höher besteuert als früher, aber bei den meisten macht es unter dem Strich keinen Unterschied, weil es keine Dienstgeberbeiträge mehr gibt. Die flächendeckene Einrichtung von kostenfreien Ganztageskindergärten und Ganztagesschulen bringt die zweite Boomer-Generation hervor. Die Wohnkosten liegen 2050 unter jenen der 2020-er Jahre. Die größte Landreform der Geschichte hat der Spekulation mit Wohnraum jeglichen Spielraum entzogen, Wohnen ist ein Grundrecht. Die progressive Grundsteuer hat dazu geführt, dass sich der Besitz von Immobilien über den Eigenbedarf hinaus, als nicht gewinnbringend erweist. Sukzessive haben sich Fonds zurückgezogen, es kam zu einem Überangebot am Markt und zu sinkenden Preisen. Die Kreditfinanzierung wird heute auf 100 Jahre bei der staatlichen Immobilienbank abgeschlossen. Bereits nach fünf Jahren sind die Kosten um mehr als 30% gesunken. Der ländliche Raum hat überlebt und wächst wieder, die Abwanderung hat sich ins Gegenteil verkehrt. Der öffentliche Verkehr hat so eine Qualität, dass man das Auto selbst im ländlichen Raum kaum braucht. Finanziert wurde dieser Ausbau in den 2020er-Jahren mit einer einmaligen Klimaschutzabgabe für Privatvermögen, die höher als 100 Mio sind. Um die Wertschätzung zu zeigen, fährt jetzt in Tirol eine „Heidi Horten“-Bahn und die drei neuen Kindergärten im Ort sind am lustigsten: Drinnen trinken die Kinder Kakao im Benko-Kindergarten. In den Orten gibt es wieder Polizeistationen, eine Post und es gibt keinen Ort mehr ohne Gasthaus. Die Gemeinden haben Pächtern teilweise kostenlos Immobilien zur Verfügung gestellt, damit das Dorfleben wiederbelebt wird. Wir haben politisch die Gemeinden gestärkt und die Bezirksebenen abgeschafft, die Landtage sind Folklore, entschieden wird vieles auf den unteren Ebenen durch Einbindung der Bevölkerung. Die Integrationsprobleme haben wir durch massive Investitionen in Bildung und Sozialarbeit in den Griff bekommen. Der Ansatz „Integration vor Neuzuzug“ hat sich als richtig erwiesen. Durch klares Zuwanderungsmanagement kommen heute wirklich nur noch die benötigten Fachkräfte zu uns. Im Asylbereich haben wir in der EU einen Marshall-Plan für Afrika durchgesetzt. Es gibt nun legale Fluchtmöglichkeiten, die aber kaum genutzt werden, weil die EU massiv vor Ort investiert, um die Lebensgrundlagen zu erhalten und damit die Fluchtursachen zu beseitigen. Zehntausende Migranten sind in ihre Heimat zurückgekehrt, der Staat unterstützt Rückkehrer mit einer Auswanderungsprämie. Verpflichtende Deutschkurse haben Menschen die Möglichkeit zur Teilnahme an der Gesellschaft gebracht. Durch die strikte Trennung von Staat und Religion gibt es auch in diesem Bereich weniger Probleme, na gut, das Entfernen des Kreuzes 2030 hat einigen nicht geschmeckt. Die absolute Gehaltstransparenz in den Betrieben hat dazu geführt, dass Frauen und Männer gleich viel verdienen. Frauen und Männer arbeiten übrigen gleich lang. Der Neid in der Gesellschaft ist massiv zurückgegangen, weil wir in einem Land leben, das Leistung belohnt und leistungslose Einkommen höher besteuert als Arbeitseinkommen. International werden wir dafür gelobt, dass Bildung bei uns nicht mehr vererbt wird, sondern wir ein sehr durchlässiges System haben. Als Berufsziel geben übrigens doppelt so viele wie 2020 an, eine Lehre nach der Matura zu machen. Die Menschen leben heute miteinander, nicht nebeneinander. Sie begreifen, dass der Staat niemand da oben ist, sondern die Summe aus uns allen. Und da 95% der Menschen von ihren Arbeitseinkommen leben müssen, ist es heute völlig normal, dass sich die Politik an den Interessen der Mehrheit ausrichtet.

Eine Vision halt. Erzählen, was man will.

BEWEGUNG BREIT IN DER GESELLSCHAFT VERANKERN UND RADIKAL ÖFFNEN
Die neuen Roten verstehen politische Arbeit als täglichen Einsatz für jene, die auf die Gestaltungskraft von Politik angewiesen sind. Ich will, dass die Bewegung hauptsächlich Aufgaben übernimmt, die tatsächlich einen Nutzen für unsere Gesellschaft haben. Du kommst aus dem Bregenzerwald und willst die Bewegung unterstützen? Dann gib einmal pro Woche einem sozial schwachen Schüler Nachhilfe oder hilf einem Nachbarn beim Einkaufen. Zigmal sinnvoller als Flyer zu verteilen oder Sinnlossitzungen abzuhalten. Organisiert Suppenküchen, Flohmärkte, politische Abende, Feste, Fahrtdienste. Wir sind die Bewegung, die unsere Orte bewegen muss. Damit klar ist, wer da ist, wenn er gebraucht wird. Wir. Nichts ist schöner für einen Sozialdemokraten, als anderen Menschen helfen zu können. Das gibt uns die schier unerschöpfliche Kraft, die wir für den politischen Kampf brauchen werden. Zehntausende werden in die Bewegung kommen, wenn man sie grundlegend demokratisiert und den Mitgliedern künftig eine echte Stimme gibt. Es gibt keine stärkere Legitimation als eine Direktwahl des/der Vorsitzenden oder eines Vorsitzendenteams. Es gibt keine Chefs, sondern es gibt gleichwertige Menschen, die im Interesse der Bewegung die Rolle einnehmen für die sie am besten geeignet sind. Um in diesen Rollen, egal, ob als Vorsitzender, Abgeordneter, Gemeinderat, Nachhilfegebenden, SuppenküchenorganisatorInnen, DeutschkurshalterInnen etc. der Bewegung und ihren Idealen zu dienen. Die Vorsitzfrage ist bei einer Bewegung, die von der ersten bis zur letzten Frau, von den Jungen bis zu den Alten, in den zentralen Fragen verschworen ist und das verkörpern kann, irrelevant. Da geht’s nur darum, wer es am besten verkaufen kann. Die Bewegung wird zur echten Mitmachpartei, ob als Mitglied oder nicht: egal. Wir müssen die Menschen von uns überzeugen, nicht sie uns. Dann wird man ohnehin Mitglied werden.

GLAUBWÜRDIGKEIT DURCH KONSEQUENZ
Zu oft wurden zentrale Inhalte am Altar der Macht geopfert. Rote Linien sind rote Linien. Es liegt ausschließlich an der WählerInnenschaft, zu entscheiden, ob sie lieber progressive Politik haben oder weiterhin beschissen werden wollen. Wer die Bewegung wählt, weiß, was er kriegt. Und muss wissen, dass die Bewegung in zentralen Fragen niemals nachgeben wird. Eine Metapher: Wir fahren mit unserem System mit 180km/h an die Wand. Was braucht es? Eine Vollbremsung. Selbst den Grünen reicht es schon, nur mit 130km/h an die Wand zu fahren, wenn ich auf die fehlende Radikalität in Klimaschutzfragen, Verteilungsfragen, Steuerfragen hinweisen darf. Der SPÖ reichte es überhaupt schon, die letzten Jahrzehnte mitfahren zu dürfen. Damit muss Schluss sein. Und wenn das bedeutet, dass man damit fünfzehn Jahre in Opposition sitzen wird: Es ist okay. Dann haben wir die zentralen Fragen noch immer nicht gut genug erklärt, aber langfristig ist eine Bewegung, die im radikalen Interesse von 95% der Gesellschaft kompromisslos agiert, von nichts und niemandem aufzuhalten. Der Tag, an dem die Menschen wieder mehrheitlich bereit sind, uns zuzuhören, ist der Beginn der Auferstehung. Wenn sie in Folge dann bereit sind, uns wieder zu glauben, dann ist die Saat für die reale Durchsetzung des österreichischen Traums gegeben.

Und jetzt ändert bitte die Perspektive. PolitikerInnen neigen dazu, immer nur an den nächsten Wahltag zu denken. Schmecks. Kurzfristig gesehen kann sich die SPÖ jetzt nicht mehr als ein Jahr mit sich selbst beschäftigen. Sie wird es aber müssen, denn das ist ihre einzige Chance, in 10 bis 15 Jahren wieder bestimmende Kraft zu werden.

Ich will, dass die Augen wieder funkeln und die Herzen wieder brennen. Die Alternative zu meinen Vorschlägen ist weiterwurschteln und damit der sichere Tod.

Was jetzt akut zu tun ist:

–          Sonderparteitag mit Beschluss der Direktwahl

–          Offene Debatte über die besten Ideen mit den besten Köpfen

–          Vorsitzendenwahl und Festlegung der Inhalte

–          Neustrukturierung und Umsetzung des politischen Neubeginns

P.S. Ja, bei Direktwahl des Vorsitzenden würde ich wieder eintreten und mit diesem Programm kandidieren. Aber nicht, weil ich glaube, dass ich eine Chance hätte. Sondern, weil ich will, dass über meine Vorschläge wirklich breit diskutiert wird.