Wir alle haben der Sozialdemokratie sehr viel zu verdanken. Der Sozial- und Wohlfahrtsstaat ist eine Errungenschaft, deren Wert oft vergessen wird, weil er zur banalen, ungefährdet gesehenen Selbstverständlichkeit geworden ist. Die historische Aufgabe der Sozialdemokratie war immer der Kampf gegen Ungleichheit, für ein Miteinander der Menschen und materiell ausgedrückt, die Teilhabe aller an Produktivitätsgewinnen und am gesellschaftlichen Fortschritt.
Sehr viel wurde erreicht, doch in den letzten Jahrzehnten wird viel davon rückgebaut. Keine Rede mehr davon, dass man von einer Vollzeitbeschäftigung gut leben kann, Hunderttausende arbeiten Vollzeit und kommen nicht über die Runden. Das falsch verstandene Gegensatzpaar ArbeitnehmerInnen und UnternehmerInnen ist längst überholt, heute sollte es ausschließlich um die Frage gehen, wer von seinem Einkommen und damit seiner Schaffenskraft abhängig ist, unabhängig davon, ob angstellt oder selbständig und wer andererseits von seinem Kapital, meist ererbt freilich, leben kann. Die Sozialdemokratie sollte eigentlich die kompromisslose Vertreterin aller arbeitenden Menschen sein. Sollte. Ist sie nicht (mehr). Sonst würde man das Scheitern des ausschließlich auf Profit gerichtenden Systems klar benennen und ein alternatives Konzept vorlegen, die so oft zitierte fehlende Erzählung wieder mal.
Die SPÖ muss sich zur inhaltlichen Schärfung aufraffen, die alte Dame ist in die Jahre gekommen und ist nicht mehr attraktiv genug. Bei dieser Gelegenheit muss man die Parteistrukturen grundlegend aufbrechen, die Partei öffnen und anschlußfähig für NGOs machen, die Direktwahl als Mittel (nicht als Heilung gegen alle Probleme, das ist sie nicht) einführen, um wieder zur Bewegung zu werden, und: Man muss Parteiarbeit grundlegend neu denken und organisieren. Eine Bewegung, die im Volke verankert sein will, muss sich um dieses „Volke“ kümmern und zwar um alle Menschen, die in Österreich leben. Parteiarbeit neu denken: Die Sozialdemokratie muss wieder zur Bastion werden, wenn es um Solidarität und Miteinander geht. Du willst Dich in der Sozialdemokratie enagieren? Gut. Aber wir verteilen keine Zettel, sondern geben finanziell schwachen Familien Nachhilfe, organisieren Kinderbetreuung oder spielen mit Kindern Theater, es gibt genug zu tun, um unsere Gesellschaft wieder zum Hort der Solidarität zu machen. Wer etwas im Namen der Bewegung für die Gesellschaft leistet bringt Bewegung und Gesellschaft gleichermaßen voran.
Als glaubwürdige Vertreterin aller arbeitenden Menschen sollte die SPÖ endlich eine gescheite und progressive Reformposition einnehmen, als DIE Steuersenkungspartei bei Arbeitskommen. Die viel zu hohe Besteuerung der Arbeitseinkommen, ob selbständig oder angestellt, ist eine Sauerei und muss auf ein anderes Niveau abgesenkt werden, damit sich Leistung nicht nur auf Wahlplakaten, sondern auch im Geldbörsel lohnt. Gegenfinanziert freilich durch eine höhere Besteuerung von leistungslosem Kapitalzufluß- und -einkommen. Die ganze Welt soll auf uns schauen, weil wir eine Gesellschaft bauen, die Leistung nicht länger überproportional benachteiligt, sondern sich Leistung endlich lohnt. Dazu ein gesetzlicher Mindestlohn, der auf die gestiegenen Lebenserhaltungskosten (und die Preisexplosion beim Wohnen) Rücksicht nimmt und dazu führt, dass man mit dem Einkommen aus seiner Vollzeitarbeit auch ein gutes Leben führen kann.
Die Klimakatastrophe ist eine soziale Frage, da ärmere Schichten am härtesten von ihr getroffen werden. Die SPÖ muss sich als Mittlerin zwischen notwendigen klimapolitischen Maßnahmen und sozialer Gerechtigkeit verstehen. Sie muss auch begreifen, dass sie Klimapolitik progressiver denken muss als etwa die derzeitige Bundesregierung, sonst sind sämtliche Ziele nicht einmal in Griffweite. Jetzt mit Volkswagen oder Mercedes oder sonst wem reden, wir kaufen ein paar Hunderttausend e-Autos und hätten gerne, dass die bei uns produziert werden zum Beispiel.
Die Wohnkosten sind für Millionen Menschen kein Riesenthema, weil sie günstig gemietet haben oder Eigentümerin einer Wohnung oder eines Hauses sind und der Kredit schon abbezahlt ist. Für all jene, die im urbanen Raum mieten oder kaufen müssen ist das Thema Wohnen längst zur entscheidenden Frage geworden, ob man in Armut lebt oder nicht. Wenn es heute schon normal ist, dass man 50% und mehr des Monatseinkommens zur Befriedigung seines Wohnbedürfnisses aufzuwenden hat, dann rennt da gehörig etwas schief und bedarf dringender und umfassender ordnungspolitischer Maßnahmen, denn „Das Recht auf leistbaren Wohnraum“ ist ein gesellschaftliches Versprechen, das die Politik gebrochen hat. Wenn 1% der Menschen dieses Landes rund 50% der Immobilien besitzen, dann sind keine weiteren Ausführungen notwendig, wie weit wir von diesem Grundrecht weg sind, wenn es zu derzeitigen Akkumulationen in den Händen weniger Akteure kommt. Es braucht daher die Forderung einer progressiven Grundsteuer, die EigentümerInnen zu bezahlen haben und die so zu gestaltet ist, dass jeder Mensch in Österreich 50m²-Wohnfläche steuerfrei bewohnen können soll, zu zweit 100m², mit zwei Kindern 200m². Wenn jemand größer wohnen will, dann besteuert man das sehr moderat, wenn es sich um den Hauptwohnsitz handelt. Nebenwohnsitze werden der Progression entsprechend besteuert, aber auch sehr moderat. Ab einer gewissen Anzahl an Immobilieneinheiten wird die progressive Besteuerung dazu führen, dass das Halten großen Immobilienbesitzes wirtschaftlich nicht ratsam wäre. Damit wäre der Grundsatz, dass man mit Wohnraum nicht spekulieren sollte erfüllt.
Es braucht für jeden zentralen Politikbereich klare Modelle und Ansagen, die verstanden werden. Von der Pflege bis hin zur Bildung, von der Wirtschaftspolitik bis hin zur Armutsbekämpfung. Dass 350.000 Kinder in Österreich armutsgefährdet sind oder wir zehntausende ArbeitssklavInnen auf unseren Feldern oder im Pflegebereich haben oder im Amazon- oder DPD-Wagerl ist inakzeptabel. Die Entwicklung der globalisierten Wirtschaft hat unseren Exportbetrieben massiv genutzt und damit auch uns. Gleichzeitig führt die Globalisierung zu massiven Verwerfungen in unserer Gesellschaft. Wir erleben eine Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft, die sich atemberaubend schnell abspielt. Dieser gesellschaftliche Wandel muss gestaltet werden.
Dafür bräuchte es die Sozialdemokratie eigentlich.
Stattdessen liefert die Partei was genau? Ein erbärmliches Schauspiel. Man glaubt noch so groß wie in den 70er und 80er Jahren zu sein, so relevant, so wichtig und verkennt, dass man kurz vor dem Exitus steht. Status Bundesländer? Mitglieder? Wahlerfolge? Programm auf Höhe der Zeit? Parteischulden bis zum Abwinken, Klubgelder an Referenten, die teilweise mehr verdienen als Staatssekretäre? Woher soll die Erneuerung eigentlich genau kommen, wenn Mandate noch immer meist nach einer Logik vergeben werden, die einen zum Verweifeln bringt?
Würde die SPÖ so schnell auf die Anforderungen der Zeit reagieren wie sie es schafft durch interne Reibereien die eigene Partei zu versenken, dann wäre alles gut. Denn nichts wird zur Zeit aktiver betrieben als die Zerstörung der sozialdemokratischen Partei. Die sozialdemokratische Idee ist unumbringbar.
Vielleicht könnten die entscheidenden Damen und vor allem Herren in der sozialdemokratischen Partei ihren Blick auf das Gemeinsame richten. Darauf, wofür es diese Partei noch braucht, was sie will und wie sie wieder ihren Platz in der Mitte der Gesellschaft als stärkste Akteurin zurückerkämpfen kann.
Welch naiver Gedanke.
P.S. „Aber die Integrationsfrage.“ Integrationspolitik ist ein wichtiger Politikbereich, so wie ein Dutzend andere auch. Die Haltung der SPÖ unmissverständlich: Wir müssen unsere Leute gscheit zahlen, dann braucht man keine Billigkräfte aus dem Ausland, während die ÖVP in der Arbeitsmigration ständig Billigstarbeitskräfte ins Land holen will. Die SPÖ will Arbeitsmigration nur dort öffnen, wo man nicht die eigenen Arbeitskräfte konkurrenziert, macht Neuseeland auch so. In der Frage von Asyl klar sein, fördern und fordern: Wir bemühen uns um bestmögliche Integration, Ausbildung und fördern Menschen, wo es nur geht. Bei Straffälligen ist die Ausweisung klar. Nicht sehr kompliziert eigentlich.