Die EU ist tot.
Die Eliten werden uns noch ein paar evolutionäre Wimpernschläge lang erklären, dass dem nicht so sei. Dass man das schon wieder hinkriege. Weil die EU und den Euro aufzugeben keine Option sei.
Es ist aber nicht nur die EU tot. Die meisten Länder Europas sind es in Wahrheit doch auch.
Und das alles hat einen ziemlich banalen Grund: Die Politik hat auf allen Ebenen das Primat des Handelns sukkzessive aufgegeben. Man ist zum Handlanger reiner Marktinteressen und deren Vertreter verkommen. Das hat im übrigen per se nichts mit Marktwirtschaft zu tun. Nein, wir erleben die Entdemokratisierung Europas und seiner Nationalstaaten in einem schier erschreckenden Ausmaß. In funktionierenden Demokratien wäre es undenkbar, dass sich Finanz- und Industrieoligopole einen ganzen Kontinent, ja, eine ganze Welt, so herrichten, wie sie wollen.
Datenschutz? Wurscht. Alle Menschen werden überwacht? Wurscht. Die Anhäufung von Kapital und damit Macht in den Händen einzelner weniger Player? Wurscht. Ist halt so. Gottgewollt.
Nein, es ist nicht gottgewollt. Es sind die Taten der Täter, die uns diese Situation bescheren.
Sie haben die Solidarität als Wert unserer Gesellschaften umgebracht und sie durch den Neid ersetzt. Früher haben Politiker, die Staatsinteresse über Eigen- und/oder Parteiinteresse gestellt haben, kräftig mit beiden Händen angepackt, um eine Gesellschaft weiterzuentwickeln. Um zu gestalten. Um zu tun.
Heute greift die herrschende Klasse auch mit beiden Händen zu – in unsere Taschen, um sich und die ihren gut durch die Reise ans Ende Europa zu finanzieren. Sie treffen dabei auf ein willfähriges, verdummtes Volk, das achselzuckend, sediert durch die letzten Zuckungen wohlfahrtsstaatlicher Verfasstheit, daneben steht und staunt. Oder gar nicht mitkriegt, was hier eigentlich passiert.
Und das stimmt für die große Welt genauso wie für das kleine, feine Österreich. Es werden im Dauertakt unwichtige Nebensächlichkeiten diskutiert, bei den großen Fragen, von einer Vision gar nicht zu sprechen, geht nichts weiter.
Es gibt ein paar Beispiele, die jedes für sich und geballt erst recht, zeigen, dass der Karren völlig verfahren ist.
Mein Vater war Alleinverdiener, meine Mutter Hausfrau, wir sind drei Kinder. Er war Versicherungsdirektor in der Steiermark, hat gut verdient und zwei Häuser gebaut. Und das ging sich aus. Ein Einkommen, eine Familie mit 5 Personen. Heute undenkbar und zwar (fast) egal wo.
Ich gehöre laut Statistik Austria zu den obersten fünf Prozent der Einkommenspyramide, kann mir aber keine 100m²-Wohnung innerhalb des Gürtels in Wien kaufen. Unleistbar. Nein, ich jammere nicht. Aber wenn ich es mir mit einem Vielfachen des Durchschnitteinkommens nicht leisten kann, wie sollen es sich dann die anderen 95% leisten können?
Würden Starbucks, Google, Amazon und Co. „normal“ ihre Steuern bezahlen, wie jedes KMU und jede Angestellte in Österreich/Europa auch, wären konservativ geschätzt 1.000.000.000.000 EUR mehr pro Jahr im Steuertöpflein. Ein tausend Milliarden EUR pro Jahr.
Da sprechen wir noch gar nicht von der Beseitigung von Priviliegien wie Gruppenbesteuerung oder Schachtelprinzip. Oder gar von der Erhöhung vermögensbezogener Steuern.
Mein absolutes Lieblingsbeispiel übrigens: Ich bezahle pro Jahr weniger als 100 EUR Grundsteuer für mein Haus im Waldviertel. Das ist unfassbar lächerlich. Würde gerne 1.000 EUR oder 2.000 EUR Grundsteuer bezahlen, dafür aber weniger Steuern auf mein Arbeitseinkommen. Selbst wenn ich dadurch mit +/- Null aussteigen würde, wäre es gerechter und würde dort Mehreinnahmen bringen, wo es notwendig ist.
Jetzt stellt die EU also ein paar Millionen EUR für Griechenland zur Verfügung, wegen dieser ominösen Hotspots. Unser Außenminister freut sich, dass wir einen einstelligen Millionenbetrag für Syrien bereitstellen.
Gleichzeit erklärt man uns, dass die EU gefährdet sei, weil die Flüchtlingskrise große Ausmaße angenommen habe. Aha.
Die Wahrheit ist viel einfacher: Wir haben Banken- und den Casinofinanzoligopolen tausende Milliarden in den Rachen geworfen. Alleine in Österreich kosten uns Hypo, Kommunalkredigt und Co. bist jetzt fast 20 Milliarden EUR. Wie lächerlich sind da diese Mini-Zahlungen, wenn es um diese Flüchtlingskrise geht?
Dieses Europa will nicht. Seine Länder wollen nicht. Diese EU ist nicht gefährdet, sie ist tot.
Entweder erleben wir eine weitere Entdemokratisierung, einen Zerfall Europas, die unaufhaltsame Ökonomisierung aller Lebensbereiche, wenn man so will einen autoritären Kapitalismus, noch mehr Überwachung, weiter sinkende Kaufkraft, das Verschwinden des Mittelstandes, eine neofeudale Diktatur des „Geldadels“, oder: Aus diesen Trümmern entstehen neue, echte Demokratien, die sich das Primat des Handelns zurückholen und die Interessen des 1% zurückdrängen.
Meine Hoffnung ist kaum noch vorhanden. An eine internationale Lösung dieser Probleme glaube ich nicht mehr, man steht einer Übermacht gegenüber, die unbesiegbar ist. „think global, act local“ wäre ein Ansatz, der treffender und richtiger nicht sein könnte – in Wahrheit unsere letzte Hoffnung.
Ich würde fast jedes Wort, und ich denke ähnliches schon seit über 10 Jahren, unterschreiben. Als „alter“ und professioneller Kulturpessimist verstehe ich diese Beschreibung als eine Form der Kritik die uns sehr wohl dazu bewegen soll noch etwas zu verändern. Also als etwas positives. Ich denke nicht daran aufzugeben komme was wolle. Danke für die Worte! Arye Wachsmuth
I totally agree with you, not only for Austria, but the whole Europe. It is like this since 2008!!! We could have seen it right then and there. “ Übermacht“ is not invincible as you suggest. One way to conquer them could be civil disobedience ( everything stops, no one goes for work )AND withdrowal of all personal cash from the banks Just for a week. That would be the end of „Geldadel“. I do not see any other way. Otherwise, you are so painfully right……!
Es tut richtig gut, einmal die ganzen Unwägbarkeiten und Unsicherheiten beiseite zu lassen um erleichtert auf den von Ihnen geschilderten Scherbenhaufen einer gescheiterten Europäischen Union zu blicken. Irgendwie beruhigendend: Alles kaputt zwar, aber endlich klar.
„Sie haben die Solidarität als Wert unserer Gesellschaften umgebracht und sie durch den Neid ersetzt. “
Aha. Sind also „sie“ schuld. Na bin ich froh, dass ich für meinen Neid und meine mangelnde Solidarität nicht selber verantwortlich bin…
„Früher haben Politiker, die Staatsinteresse über Eigen- und/oder Parteiinteresse gestellt haben, kräftig mit beiden Händen angepackt, um eine Gesellschaft weiterzuentwickeln. Um zu gestalten. Um zu tun.“
Es mag sein, dass die Politiker in den ersten paar Jahrzehnten nach dem zweiten Weltkrieg, solidarischer waren als heute. Ein heller Moment nach dem größten Morden und Zerstören aller Zeiten. Was die viertausend Jahre Politikgeschichte des Abendlandes davor angeht, so hat eigentlich ausschließlich der „Geldadel“ regiert. Bitte nicht zu vergessen, dass es noch keine 100 Jahre her ist, dass dieses Land und weite Teile Osteuropas ein nicht gerade armer Monarch beherrscht hat.
Ad EU: Trotz allem Streit: So ein „geeintes Handeln“ in Europa gab es vermutlich das letzte mal unter Karl dem Großen oder den Römern im europäischen Raum. Dazwischen lagen Jahrhunderte, in denen sich die von Eigeninteressen motivierte Staaten gegenseitig die Köpfe einschlugen. Wer meint, es sei in wenigen Jahrzehnten zu überwinden, was jahrhundertelang eingeübt wurde, der glaubt wohl auch noch an den Weihnachtsmann.
Liebe Leute! Es sieht so aus, als würde es dem Homo sapiens sapiens zu eigen sein, dass er grundsätzlich lieber die Haltung des Raffens und Neidens einnimmt, statt die Haltung des Gebens und der Solidarität. Jedes Exemplar dieser Spezies ist daher aufgerufen, zuerst bei sich selbst anzufangen und nicht die Schuld an mangelnder Solidarität und gesellschaftlichem Ungleichgewicht anderen zu geben.
Niemand muss konsumieren. Niemand muss besitzen. Es steht jedem frei, Hab und Gut zu verkaufen und das Geld den Armen zu geben. Diese Handlungsempfehlung ist übrigens auch schon zweitausend Jahre alt.
danke für diesen Artikel, den ich auf FB entdeckt habe.
Lieber Rudi, stell Dir vor, viele, gerade im Waldviertel, sind weit entfernt davon, zu den oberen 5% zu gehören sondern sind froh, überhaupt ein Einkommen zu haben und dank der niedrigen Fixkosten eines abbezahlten oder geerbten Eigenheims noch irgendwie über die Runden zu kommen. Die könnten sich 1000,- oder 2000,- niemals leisten, nur um behalten zu dürfen, wofür sie oder ihre Eltern eh schon ihr Leben lang geschuftet haben. Wenn Du so gut verdienst, sei froh und zahl Deine Steuern wie jeder andere auch, aber versuch nicht, Dir auf Kosten derer, die eh schon nix ausser dem bissl haben, das sie sich mal schaffen konnten, noch ein paar Tausender zusätzlich rauszuholen
wie kann man angesichts der wirklich drängenden DInge so einen Umverteilung Ideologie Schmarrn schreiben?
Die Entdemokratisierung? What? Wiens immerwährende SPÖ Regierung Demokratie? Das Proportzsystem, Demokratie? Österreich ist ein griechischer Sumpf, Endzeit.
Über die EU kann man aus allen Lagern gut wettern. Ich liebe die Entwicklung, freies Reisen, eine Währung, EU Bürger, die sich wahlweise niederlassen können. Grundwerte die wir teilen.
Und dann darf natürlich die Hypo nicht fehlen, Wei da die Kacke am dampfen ist, passt wahlweise, Senkung Pensionsalter oder aber unbegrenzter Zuzug ins Sozialsystem. Was bei der Hypo geschehen ist, ist so etwas kleiner in Salzburg passiert, oder auch mit der BAWAG. Politiker ohne Ahnung und Verantwortung die für einige Jahre das große Rad drehen. Auch der Kapitalismus (=Unternehmer) verfällt diesen Verlockungen. Nur hat er dann alles verloren und landet im Knast.
Meine grundsätzliche Frage ist ist das System Politik das wir heute betreiben noch zeitgemäß ? Ich glaube es müssen neue Strukturen gefunden werden wir haben heute die Möglichkeit mit z.B Social Media auf Knopfdruck jeden Österreicher zu erreichen. Ich glaube die Zeit ist vorbei das einzelne Personen unsere Interessen vertreten. Wir sollten Möglichkeiten finden wo wir im Kollektiv entscheiden!
Lieber Herr Fussi!
Sie sprechen von Entdemokratisierung aber in Wirklichkeit stehen wir erst an der Schwelle zur Demokratisierung. Jahrhundertelang konnte das Volk in Unwissenheit gehalten werden. Denn es war leicht.
Die Demokratie wie wir sie in Österreich seit dem 2. Weltkrieg kennen, war bestimmt von Interessensgruppen, die in Hinterzimmern oder als Sozialpartner getarnt, abseits des Wählers ihre Entscheidungen getroffen haben. Die globale Welt und die Sozialen Medien befeuert durch das Internet, haben uns erst den Einblick in die wahren Vorgänge erlaubt. Früher war das von Ihnen angeprangerte Versagen einfach nicht sichtbar oder wurde nicht sichtbar. Es hat genügt wenn sich 2 bis 3 große Medien, die sowieso eine Nachverhältnis zur Macht gepflegt haben, nicht berichtet haben.
Also Herr Fussi sehen Sie als poilitisch tätiger Mensch, die Zeichen der Zeit, jammern nicht über Entdemokratisierung, sondern nützen die neue Macht, die sie durch die neuen Medien erhalten und bringen Sie die Demokratie vorwärts, sodass es eine gelebte und lebare Demokratie wird. Und damit sie die Gegenfrage, was tun den sie nicht stellen müssen: Ich kämpfe in meinen beruflichen Projekten um mehr Nachhaltigkeit im Energie- und Abfallsektor und privat um die Integration von Flüchlingen.
NEIN! Dieses Jahrhundertprojekt aufgeben bedeutet sich selbst ins Grab legen. Möchtet Ihr Euch wirklich geschlagen geben? Rechte Recken den Vortritt lassen? Was für Memmen seid Ihr?
Ein Mensch aus einer Demokratie trifft einen Menschen aus einer Monarchie trifft einen Menschen aus einer Diktatur trifft einen Menschen, der in der Demokratie über die Menschen in der Demokratie regiert trifft einen Menschen aus einer Monarchie der über die Menschen in der Monarchie regiert trifft einen Menschen der in einer Diktatur über die Menschen in der Diktatur regiert. Sagen die ersten: wir sind mehr! Sagen die zweiten: wir sind welche von euch!
Sehr geehrter Herr Fussi,
Ihr Artikel ist ein wohltuender Schmerzensschrei in dieser Teflonatmosphäre. Ich denke, wir sind noch gar nicht in einer Demokratie angekommen. Ob wir jemals eine sowohl verteilungsgerechte, als auch liberale Gesellschaft werden, jenseits von Nationalstaatlichkeit und Freihandelsabkommen? Es lohnt sich jedenfalls, Vorstellungen davon zu entwickeln und dann etwas dafür zu tun.
Vielen Dank!
Das hat nix mit der EU zu tun.
und jammern gilt nicht wenn wir 3-4 mal pro Jahr auf Urlaub fahren und jedes Wochenende essen gehen. Das haben sich unsere Väter nicht leisten können. Die hatten auch keine 2-3 Autos pro Familie sondern 1 oder gar keines. Bitte nicht Äpfel mit Birnen vergleichen.
Es gibt keine Visionen – das ist wahr und eigentlich deprimierend. Aber wir dürfen uns nicht unterkriegen lassen, wir sind doch das Volk, oder ? Aber das Volk muß den A… hochbekommen, ansonsten bleibt es dabei – ohne Visionen.
Wie auch immer, Ihr Artikel hat mir so gefallen, ich schicke ihn gleich als auch meine Meinung an mein örtliche Presse – die MOZ in Frankfurt/Oder – Deutschland und an ARD und ZDF, die alle mit dazu beitragen, dass unsere Menschen kaum noch Visionen haben, an die man glauben kann.
Stimme zu.
Im übrigen fände ich es super, wenn diese Webseite ein anderes WordPresss-Theme verwenden würde, das jetzige ist sowas von 2014. 😉
Ich halte die Sache für ein systemisches Problem, etwa so, wie Helmut Creutz es in seinem Buch „das Geldsyndrom“ beschreibt, speziell gemeint sind damit die Kräfte des Kapitalismus, sowie der Zins.
Da das kapitalistische System mit seinem Zinseszins exponentiell umverteilt, funktioniert dieses anfänglich gut (etwa wie in den 70’er Jahren), dann aber führt die Umverteilung des Geldes zur Verarmung der Unterschicht, dann zur Verarmung der Mittelschicht – und dort sind wir gerade.
„Schuld“ sind nicht die Banken, nicht die Lobbyisten, auch nicht die Großkonzerne, nicht einmal die Reichen. Sie alle sind letztlich Bausteine eines Systems, das perfide funktioniert: Es schenkt den Menschen den Glauben, Gewinner eines Systems zu sein, während sie in Wahrheit bis auf wenige Einzelne Verlierer sind.
Das System endet irgendwann in der Sklaverei, was wiederum zur Revolution führt, womit das System wieder von Neuem beginnen kann – so zeigt es die Geschichte wieder und immer wieder.
Das Wissen ist dabei nicht einmal neu. Und trotzdem werden Werke wie das Marxsche Kapital gerne belächelt bzw. verdrängt.
Ob unserer Gesellschaft irgendwann etwas besseres einfällt?