Als Linker kommt man aus dem Staunen nicht heraus: Die ÖVP ist dabei politischen Selbstmord mit Anlauf zu begehen und merkt es selbst nicht einmal. „Schuld“ am Dilemma der ÖVP sind in der Innensicht der politische Gegner, die (Faymann)-Medien, der Zeitgeist und Menschen, die schlichtweg die Größe und moralische Überlegenheit der ÖVP nicht sehen wollen. Das klingt schräg, oder? Noch schräger ist die Tatsache, dass ÖVP-Funktionäre das auch glauben und diese Sicht der Dinge verteidigen – und zwar mit Inbrunst. So weit, so schlecht. Oft hört man Dinge wie „Die Wahl 2013 ist noch weit weg, wir reissen das Ruder schon noch herum“ oder „Den Menschen geht es um Wirtschaftskompetenz und am Ende des Tages werden wir schon Erfolg haben“.

Egal welche Berater Michael Spindelegger hat: sie scheinen eher zu raten was zu tun ist, einen Plan kann man nicht erkennen. So viele Fehler wie sie die ÖVP in der strategischen Positionierung und der politischen Kommunikation macht sind erstaunlich. Und eigentlich schwer nachzuvollziehen. Die Ereignisse der letzten Monate bringen eine meiner politischen Grundthesen bezüglich der österreichischen Parteienlandschaft ins Wanken.

These: Im stattfindenden Erosionsprozess von SPÖ und ÖVP hat die ÖVP mittel- bis langfristig die besseren Karten, weil sie unter anderem durch ihr Bündesystem stabiler aufgesetzt ist als die SPÖ. Diese These wird im Moment Lügen gestraft.

Doch nun zum eigentlichen Thema: Was die ÖVP falsch macht und wie sie es richtig machen könnte. Es ist mir ein Bedürfnis dies darzulegen, weil ich die Unprofessionalität mit der die ÖVP zu Werke geht, erschreckend finde und aufzeigen möchte wie „leicht“ es eigentlich für eine konservativ-bürgerliche Partei wie die ÖVP wäre -auch (und gerade) in Zeiten wie diesen- erfolgreich zu sein.

Das bestimmende Hauptthema in der politischen Arena ist der Themenbereich Korruption, Transparenz, Parteienfinanzierung. Bis zu 80% der Menschen gehen davon aus, dass alle politischen Parteien „eh nehmen“ und verlieren zunehmend ihr Vertrauen in das politische System. Für eine Wertepartei wie die ÖVP eine ist, vorgibt zu sein oder eine sein will, heisst das: es geht im weitesten Sinne um etwas wie „Moral“ und/oder „Anstand“. Anständigkeit als Tugend ist etwas, das fixer Bestandteil bürgerlicher Politik in ihrem bisher gekannten Selbstverständnis sein sollte und oftmals auch war. „So etwas tut man nicht“. Nachsatz: „Auch wenn es (derzeit noch) legal ist“.

Strasser, Mensdorff, Grasser, Hakl, Amon, Telekom, Eurofighter usw. usf. Die bisher publik gewordenen Affären haben der ÖVP massiv geschadet und diese in die Defensive gedrängt. Wenn man in der Politik (oder Wirtschaft) in die Defensive gedrängt wird, hat man im Prinzip 3 Möglichkeiten: Man spielt das Opfer, den Täter oder den Aufklärer. Als Berater rät man im Prinzip immer die Rolle des Aufklärers anzunehmen, weil diese die einzige Rolle ist, die eine hohe Wahrscheinlichkeit hat aus der Defensive zu kommen.

Welchen Weg hat die ÖVP gewählt? „Schuld“ an den Anschüttungen des Herrn Amon sei nicht Herr Amon. Nein. Die Staatsanwaltschaft ist schuld, weil Herr Amon die „Wahrheit“ im Fall Kampusch weiß und aufdecken will. „Schuld“ ist der politische Gegner, weil die haben ja auch genommen. Und das BZÖ ja am meisten. „Schuld“ sind auch die Medien, weil diese den Fall Gartlehner stiefmütterlich behandeln, während Herr Amon zum Handkuss gebeten wird. „Schuld“ ist auch die Opposition, weil diese durch ihr Verhalten im U-Ausschuss das Ansehen der gesamten politischen Klasse beschädigt. Die ÖVP sieht und verhält sich also als Opfer. Wie die Öffentlichkeit darauf reagiert, wenn ein Bankräuber sagt, er sei ja eh ein Opfer, kann man sich ausmalen.

Spindeleggers (Be)-Rater haben gewürfelt und sind zum Schluss gekommen: Michi, Du musst jetzt in die Offensive und raus aus dieser Opfer-Rolle, die öffentlich als Eingeständnis der Täter-Rolle rezipiert wird. Und was haben diese Berater ihm geraten? Er möge doch einen Verhaltenskodex für ÖVP-Politiker ankündigen und diesen von honorigen Herr- und Frauschaften ausarbeiten lassen. Ein Verhaltenskodex also. Damit ÖVP-Funktionäre wissen was sie dürfen und was nicht. Aus Beratersicht eine katastrophale Entscheidung. Und das aus mehreren Gründen:

  1. Anstatt strengere Gesetze für ALLE zu fordern ist das Erstellen eines Ehrenkodex für die eigene Partei das Falscheste was man tun kann: Es ist nämlich ein Schuldeingeständnis (Täterrolle). Es sagt nämlich: die ÖVP braucht sowas (Metaebene: wir haben ein Problem mit „Anstand“) Gleichzeitig weist man weiterhin jede Schuld von sich. Das funktioniert nicht. Kann auch nicht funktionieren.
  2. Eine Partei, die den Wert „Anstand“, als einen ihrer Pfeiler bürgerlicher Politik sieht, braucht so etwas schlichtweg nicht. Die Öffentlichkeit fragt sich: „Was müssen das für Politiker sein, die man erst unterschreiben lassen muss, dass man nicht stehlen darf.“
  3. Ein katastrophales innerparteiliches Signal: Wie kommt die überwältigende Mehrheit der ÖVP-Funktionäre im Mittel- und Unterbau dazu durch einen Ehrenkodex für alle in eine Reihe mit Strasser, Amon und Co. gestellt zu werden?

Die ÖVP klebt also in der Täterrolle und versucht sich als Opfer zu verkaufen. Ja, die ÖVP ist Täter. Der „Haupttäter“ ist im Themenbereich Telekom mit Abstand das BZÖ. Das BZÖ hat mit Abstand am meisten kassiert, daran besteht kein Zweifel. Und warum wird das nicht so gesehen? Antwort: Weil es Stefan Petzner geschafft hat in die Rolle des Aufklärers zu gehen und damit reüssiert.

Was also müsste Michael Spindelegger tun (sagen) bzw. hätte Michael Spindelegger tun (sagen) müssen um in die Rolle des Aufklärers zu kommen? Im Prinzip 2 Dinge:

  1. ÖVP glaubwürdig (gegen alle innerparteilichen Widerstände) als Vorreiterin für volle Transparenz, Offenlegung aller Parteifinanzen, strengste Anti-Korruptionsgesetze, strengstes Lobbyistengesetz positionieren. Durch den erwartbaren Widerstand der SPÖ wäre die ÖVP somit sofort in der Offensiv-Position gewesen. Spindelegger hätte dies risikolos tun können: selbst der erbittertste Gegner dieser Strategie könnte diese öffentlich niemals äußern. Wie würde jemand öffentlich dastehen der das bestehende Korruptionssystem verteidigen würde? Eben!
  2. Sofortige personelle Konsequenzen als Signal des „Handelns“ und von „Leadership“: Abzug Amons aus U-Ausschuss, Hakl-Rückzug aus dem Nationalrat. Damit hätte die ÖVP immensen Druck auf die SPÖ erzeugt, da diese dann Gartlehner auch rausnehmen hätte müssen. Die gesamte Öffentlichkeit hätte gefragt: So, liebe SPÖ, die ÖVP hat nun gehandelt, was ist mit Euch?

Die ÖVP hat noch immer nichts dazu gelernt. Nein. Im Gegenteil: Im Moment wird hinter den Kulissen bereits am baldigen Ende des U-Ausschusses gearbeitet. Und eines ist jetzt schon klar: Auch wenn dies in einer gemeinschaftlichen Tat mit dem Mit-Täter SPÖ erfolgen sollte: Picken bleiben wird es an der ÖVP. „Die haben ja was zu verbergen“.

Somit ist das Verhalten der ÖVP in diesem Themenbereich als Totalversagen und Kommunikations- und Strategiedesaster zu klassifizieren.