Nichts geht mehr. Aus Koalitionspartnern sind längst Koalitionsgegner geworden. Ich weiß nicht mehr, wie oft wir ein „Genug gestritten!“, „Wir haben verstanden!“ oder „Jetzt lassen wir den Streit hinter uns und arbeiten für Österreich!“ schon gehört haben. Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass das mit SPÖ und ÖVP nichts mehr wird. Und das ist eigentlich auch gut so. Zu gegensätzlich sind die Positionen, am Ende bleiben für uns SteuerzahlerInnen teure und faule Kompromisse übrig. Sie sind zu Verwaltern des Stillstands geworden, nur die Gier nach Macht hält die beiden zusammen. Es gibt kein Wollen, keine Vision, es gibt gar nichts. Das ist der Status quo, und in Wahrheit ist dieser Zustand so etwas wie die Konstante der österreichischen Innenpolitik geworden.
Die Existenzberechtigung einer großen Koalition, die an sich ja ein generell abzulehndes Modell ist, besteht darin, große Aufgaben zu bewältigen. Da war etwa der Beitritt zur EU. Heute wären das große Reformen, eine Neugestaltung der Verfassung und Verfasstheit des Staates, Stichwort Föderalismus etwa. Wenn dem so ist, dann hat diese Koalition selbst bei maximal wohlgesonnener Beurteilung diese Existenzberechtigung verloren.
Ein demokratischer Wettstreit sollte im Idealfall ein Streit um die beste Zukunft eines Landes sein. Die BürgerInnen sollen von Wahl zu Wahl entscheiden, ob die Richtung in die ein Land geht, ihrer Meinung nach in Ordnung ist oder nicht. In Österreich ist die Beurteilung der StimmbürgerInnen jedoch irrelevant: Am Ende bekommt man eine große Koalition, egal was man gewählt hat. Mit Schuld daran sind natürlich großkoalitionäre Fesseln, etwa die Sozialpartnerschaft.
Wenn nun eine linke Regierung ihr Programm durchziehen würde, der Bürger damit nicht einverstanden wäre, würde er sie abwählen und eine rechte Regierung käme an die Macht. Und umgekehrt. Das ist in den meisten Ländern wohl die Normalität. Nur nicht in Österreich.
Es gibt nichts mehr, was für die große Koalition spricht, außer man ist direkter Profiteur des Stillstandes bzw. des Machterhaltes.
Als ich diesen Gedanken „Gehen wir doch wählen, alles ist besser als Rot-Schwarz“ jüngst auf Facebook und Twitter teilte, waren interessante Reaktionen zu beobachten.
1) Bist Du verrückt? Wenn wir jetzt wählen würden, dann wäre Strache Erster?
Ich denke nicht, dass ich verrückt bin. Also nicht verrückter als der Durchschnitt. Die FPÖ würde bei Neuwahlen wohl Erste, das wird sie meiner Einschätzung nach auch 2018. Tendentiell 2018 sogar mit einem größeren Abstand als 2016, weil nichts dafür spricht, dass SPÖ und ÖVP endlich zu arbeiten beginnen würden. Also echt zu arbeiten. Die Rahmenbedingungen werden für die FPÖ also eher besser als schlechter. Darüber hinaus hielte ich es für relativ armselig und zu eindimensional gedacht, Neuwahlen abzulehnen, die ja aufgrund der Verfasstheit der Regierung notwendig sind, nur weil jemand davon profitierte, den man politisch ablehnt.
2) Willst Du wirklich einen Kanzler Strache?
Nein, will ich nicht. Ich wurde zig-mal von der FPÖ verklagt, nichts widert mich mehr an als die Politik der FPÖ. Ein Wahlsieg der FPÖ würde noch nicht automatisch einen Kanzler Strache bedeuten, vielleicht bekämen wir ja eine Dreier-Koalition, SP/VP samt grünem und/oder pinkem Beiwagerl. Polemisch könnte man erwidern, dass es ehrlich gesagt wurscht sei, ob nun Rote oder Blaue in einer Regierung blaue Politik umsetzten, denn nichts anderes macht die SPÖ in der Flüchtlingsfrage mit der ÖVP. Und selbst ein Kanzler Strache wäre keine Katastrophe. Eine blau-schwarze Koalition wäre zwar aus Gutmenschensicht pfui gack, aber böte für die SPÖ die Chance, sich zu erneuern. Außerdem ist so nun mal Demokratie. Und gerade jene Roten, die am lautesten vor Strache waren, übersehen meist, dass gerade und zuvordererst die SPÖ dessen Aufstieg erst ermöglicht und voller Inbrunst betrieben hat. Pragmatisch: Je früher die FPÖ in die Regierung kommt, desto besser. Dann ist der Spuk wieder schneller vorbei.
3) Die fladern wieder alles, hast Du die Hypo schon vergessen?
Das wird wohl so sein. Ich sehe das pragmatisch: Dort wo Macht ist, ist Korruption hat Norbert Leser mal formuliert, und ich denke, dass er recht hat. Die anderen fladern auch, nur sind sie darin viel geschickter. Es sagt eigentlich eh schon alles, wenn man die Machenschaften etwa der SPÖ mit „Die haben aber nie für sich selbst, sondern nur für die Partei gestohlen“ verteidigt. Täglich sehen wir wie Steuergeld von Regierungsparteien allerorts „gestohlen“ und verschwendet wird. Der Unterschied, ob es sich jemand einsteckt oder man es Herausgebern oder eigenen Leuten zuschiebt ist vernachlässigbar. Es ist Steuergeld und es ist weg. Und zur Hypo: Nein, ich habe nicht vergessen, dass Haider hier agierte als würde die Bank ihm gehören. Und ich habe auch nicht vergessen, dass Rot-Schwarz die Hypo ohne Not verstaatlicht hat und danach Frau Fekter, keine Blaue, die Einrichtung einer Bad Bank aus wahlstrategischen Gründen verweigerte und so den Schaden mutwillig erhöht hat.
4) Du wirst sehen. Es kommt zum Sozialabbau wie unter Schwarz-Blau. Ganz grauslich wird das.
Da muss ich immer lachen. Reiche werden reicher, Arme ärmer. Das ist die Leistungsbilanz sozialdemokratischer Regierungspolitik. Stiftungssteuern senken, Vermögens- und Erbschaftssteuern abschaffen, alles unter sozialdemokratischer Führung bzw. Beteiligung (Geschenkt, dass es in letzteren Fällen am Unvermögen für eine neue Regelung scheiterte). Das Gegenteil ist wahr: In der Opposition ging die SPÖ gegen die Pensionsreform der Regierung Schüssel auf die Straße. In der Regierung machte sie diese nicht rückgängig, sondern freute sich diebisch, dass Schwarz-Blau einen Job erledigt hat, den man selbst nicht durchführen konnte und/oder wollte. Das ist im übrigen das Tolle an wechselnden Regierungen: Es gibt Dinge, die ein Partner niemals durchsetzen kann, da der parteiinterne Widerstand zu groß ist. Denken wir etwa an die Angleichung des Frauenpensionsalters (gilt für die SPÖ) oder die (Wieder)-Einführung der Erbschaftssteuer (gilt für die ÖVP). Sozialabbau ist unmittelbare Folge von außer Fugen geratenen Staatsfinanzen. Daher ist Stillstandspolitik der wirkliche Garant für Sozialabbau, er kommt nur mit Verspätung und fällt noch größer aus.
5) Die SPÖ ist das Bollwerk gegen Rechts!
Natürlich. Im Burgenland. Zaun bauen, Obergrenzen einführen, Flüchtlingsklassen in Wien. Die SPÖ ist das Bollwerk gegen den eigenen Machtverlust, sonst nichts mehr.
Österreich braucht dringend Erneuerung. Wir brauchen Bewegung, einen politischen Diskurs, rund im die Frage: Wo soll dieses Land 2050 stehen, wie soll es aussehen, wie wollen wir miteinander leben?
Das ist das große Bild. Wenn wir mit Rot-Schwarz weitermachen, werden wir weiter abstinken, weil die beiden nicht miteinander können und wollen. Sie kapieren es einfach nicht. Sie hassen sich, aber lieben die Macht. Wenn nun eine rechte Regierung Dinge tun würde, die uns nicht gefallen, dann böte dies die Chance dafür, einen gesellschaftlichen Gegenentwurf zu entwickeln. Natürlich ist das nicht in Stein gemeisselt, denn die Linke hat bis heute keinen Gegenentwurf zur Finanzkrise, man ist noch immer williger Helfer der Täter geblieben. Das ficht mich aber alles nicht an.
Wir brauchen Bewegung und eine politischere Gesellschaft. Viele wurden im Widerstand gegen Schwarz-Blau politisiert – und danach von der SPÖ enttäuscht. Es gilt auch umgekehrt, auch wenn eine Rot-Grüne Regierung (vielleicht unter Beteiligung der Neos) außer Griffweite scheint. Ich will, dass endlich über die Zukunft dieses Landes gestritten wird, über den Wahltag oder die morgige Schlagzeile hinaus.
Fürchtet Euch nicht, in Wahrheit werden wir ja von Beamten regiert, nur die Mehrheiten im Parlament wechseln. Also: Zu den Urnen.
wenn es nur nicht NOCH schlechter kommt: SPVP + Grüne, die -sobald in der Regierung- alle Grundsätze über Bord werfen.
Wie schon auf Twitter gesagt – ich gebe dir grundsätzlich recht und der Artikel ist super. Aber ein paar Anmerkungen hätt ich da noch.
1. Zu dem „Nichts geht mehr“: Generell, ja. Aber so wenig mir die Regierung Faymann auch gefällt, muss man das häufig gebrachte Argument aus der Koalition anerkennen. Da stehen sich zwei total unterschiedliche Parteien gegenüber. Die ideologischen Gräben zwischen SPÖ (Mitte-links, theoretisch) und ÖVP (Mitte-rechts) sind immer noch tief. Da ist es irgendwie klar, dass nix weitergehen kann. Die Pakete zu Beginn der Finanzkrise waren nicht völliger Mist – da wurde sogar flexibilisiert und in Unternehmen investiert. Und auch von der Steuerreform – gegen die ich selbst als faulen Kompromiss angeschrieben habe – spürt meine nicht zu gut bezahlte Mutter was. Es ist nicht alles schlecht. Und mit zwei so verschiedenen Parteien kannst du dir einfach keinen großen Wurf erwarten.
2. Gilt das vor allem für die Flüchtlingskrise. Die erwähnst du zwar nur am Rande, weil die SPÖ so rechts geworden ist – aber der Beitrag ist ja klar im Hintergrund dieses Thema #1 zu verstehen. Das Missmanagement von SPÖ und ÖVP ist nicht zu übersehen. Zuerst beschissene Zustände in Traiskirchen, dann Zelte, die 71 Toten, dann die „große Welle“ seit September 2015 und jetzt das Thema mit der sexuellen Belästigung. Es ist echt nix Gutes dran.
Andererseits muss man aber auch dazusagen, dass die Regierung bereits alles versucht hat. Traiskirchen entlasten? Hat ewig nicht geklappt, weil die Länder nicht mitmachen wollen. Erst, nachdem Pröll selbst einen Asylstopp beschlossen hat, ging was weiter – einfach aufgrund eines österreichischen politischen Phänomens, dass nie jemand zuständig sein mag und genug Kompetenzen besitzt, um ein Problem zu lösen. Dann hat man sich an Merkel und #Refugeeswelcome gehalten – und wurde von rechts geprügelt. Nachdem das in den Umfragen nicht gut ankam und die Angst nach Paris und Köln groß ist, hält sich die Regierung jetzt eher an Orbán – und wird von links geprügelt. Aber links ist in Österreich ein Minderheitenprogramm. Das ist egal. Wenn es nur um Umfragen geht, hat die Regierung damit gewonnen – oder zumindest weniger verloren, weil der Unterschied zur FPÖ kleiner wird. Wenn es um Veränderung geht, kann die Regierung eh sagen, sie tut was. Das Grenzmanagement ist sicher nicht so leicht. Egal, wie man’s macht, man macht es falsch. Zu links („naiv“), zu rechts („unmenschlich“), zu wenig („Stillstand“), etc. Jeder Staat in Europa ist total überfordert, planlos, egoistisch und teilweise verantwortungslos. Da kann man auf alle hinhauen.
3. Zu dem Strache-Argument: Da gebe ich dir Recht. Einen sinnlosen Stillstand zwei Jahre länger auszuhalten, damit man halt später den bösen bösen Strache kriegt, ist genau so ein Mist wie das „taktische Wählen“. Es ist demokratiepolitischer Unsinn. Wenn da jetzt mehr als 30 Prozent der Österreicher denken, Strache soll übernehmen, dann soll es so sein und wir haben uns mit Blau-Schwarz (vermutlich – aber Blau-Rot ginge ja auch, wie du selbst festhältst) abzufinden. Und wenn sie wieder Milliarden verballern, den Sozialstaat abbauen, sich mit der EU anlegen … dann werden wir sie eben wieder abwählen. I don’t see the problem. Ich glaube, die wenigsten, die das Strache-Scheinargument bringen, sind auch wirklich mit der jetzigen Regierung zufrieden. Die ganzen SPÖler auf Twitter siehst du eh selbst – die schämen sich ja auch schon. Das ist also scheinheilig und abzulehnen. Aber aus demokratiepolitischen Gründen. Ich glaube durchaus auch, dass uns im Extremfall eines Bundeskanzler Strache der gute alte Stillstand fehlen würde.
4. Zum Thema Sozialabbau an sich fehlt mir eines: Nämlich, dass der Sozialstaat eh schon lang reformiert gehört. Der Sepp Schellhorn rechnet jetzt vor, dass es sich für Flüchtlinge nicht auszahlt, arbeiten zu gehen, wenn sie die richtige Größe der Familie haben und die richtigen Beihilfen beantragen. Das ist aber nicht nur bei Flüchtlingen so – „unser System begünstigt die Nicht-Arbeit“, sagen so einige Experten. Und angesichts des demographischen Wandels und anderer Veränderungen am Arbeitsmarkt wird sich der Sozialstaat in jetziger Form so nicht mehr lange finanzieren lassen. Ich empfehle dazu auch Peter Rabls Buch, das du vermutlich eh schon kennst.
„Sozialabbau“ klingt natürlich zuerst schirch und grausig und nach Massenarmut. Aber gscheite Reformen, gegenfinanziert durch u. a. längst fällige Verwaltungsreformen (ich weiß, *ba dum, tss!*), müssen eh her. Da gibt’s natürlich immer wen aus dem Lager der Koalitionsparteien, der Nein sagt. Aber das wird sein müssen.
5. Noch: Gegen Ende schreibst du “ Ich will, dass endlich über die Zukunft dieses Landes gestritten wird, über den Wahltag oder die morgige Schlagzeile hinaus.“ – das passiert doch eh schon? Zuerst beschwerst du dich über Streiterei, dann forderst du sie. Ich weiß schon, worauf du hinaus willst – eine sozialdemokratische und eine christlich-soziale / konservative (so hab ich sie halt kennengelernt) Partei sollten wieder zu sich finden und es sollte weniger um eigene Pfründe gehen. Aber das geht ja eh konstruktiver als durch Streit. Ich erinnere an das Wahlversprechen „Genug gestritten!“ von Faymann, das ja auch irgendwo schon 2008 einen Nerv getroffen hat.
Das war’s soweit. Generell würd ich auch gerne wieder wählen – auch, wenn’s mir vor Blau-Schwarz schon ein bisschen graust. Aber das muss eine Demokratie aushalten, wird schon keine polnischen Zustände geben. (Oder?)
weder der schellhorn noch der rabl haben mit der mindestsicherung recht.
diese debatte um die bms ist eine inszenierung um davon abzulenken, dass die löhne viel zu niedrig sind.
aber natürlich ist das ein versagen der spö und der gewerkschaften.
die reallöhne sinken!
gleichzeitig steigt die zahl der millionäre und die kapitalerträge.
und ganz niederträchtig werden die ärmsten, nämlich die flüchtlinge, missbraucht, um diese debatte zu führen!
es ist grad leider nicht sehr lustig.