Die Donnerstagsdemos sind wieder da. Wie einst unter Schüssels Wenderegierung marschieren Gegner der Regierung wieder auf den Straßen Wiens. Weil ihnen diese Regierung, alles wofür sie steht, einfach gegen den Strich geht. Verständlich, wie ich finde. Doch es gibt einen Unterschied zu damals: Es gibt keinen Haider, der die Regierung von innen heraus zerstört. Diese Regierung ist, ob es einem gefällt oder nicht auf Stabilität ausgerichtet.

Der jüngste Beweis: Niemals würde ein anständiger Konservativer Herbert Kickls Eskapaden dulden. Oder dazu schweigen. Doch die türkise Führung hat Faymanns „Genug gestritten!“ zur obersten Maxime erhoben und weiß, dass nur Zusammenhalt die eigene Zukunft sichert. Und die FPÖ weiß das auch. Natürlich wird die FPÖ schwächer werden, doch solange sie stabil über 20% liegt ist keine Gefahr in Sicht.

Die Milchmädchenrechnung ist ganz einfach : Solange diese Regierung eine Mehrheit bei Nationalratswahlen haben wird, wird es sie geben. Und das wird länger sein, als es ihren Gegnern lieb ist.

Und das ist alles andere als erstaunlich: Wir dürfen nicht auf die Tagespolitik schauen, nicht auf aktuelle Entwicklungen Rücksicht nehmen, schauen wir auf das große Bild. Und das ist eindeutig: Österreichs Gesellschaft ist nicht von heute auf morgen nach rechts gekippt. Die Sprache in der Politik hat sich nicht über Nacht verändert. Der Populismus, der fast alle ergriffen hat, kam nicht blitzartig. Der Sündenbock „Ausländer“ ist kein neues Phänomen.

Realistisch betrachtet: Diese Entwicklung hat (spätestens) 1986 mit der Übernahme der FPÖ durch Jörg Haider begonnen. Das ist immerhin 32 Jahre her. So alt sind die meisten, die diesen Artikel in sozialen Medien lesen werden wohl nicht einmal.

Wir haben es also mit einer Entwicklung zu tun, die ihren Siegeszug vor 32 Jahren angetreten hat. Werte wie Solidarität sind nicht mehr mehrheitsfähig. Das Eintreten auf Schwache wurde mehrheitsfähig. Nicht von heute auf morgen.

Es wäre daher absurd, wenn man diese 32-jährige Entwicklung bei einer der kommenden Wahlen umkehren könnte. Dass eine Situation eintreten könnte, die alles wieder ins Lot bringt. Das wird nicht passieren. Politik, die sich nur auf den Wahltag ausrichtet und glaubt, dass „eh wieder alles in Ordnung ist“, wenn man halt wieder eine Regierung mit SPÖ-Beteiligung hätte. Das ist schlichtweg absurd. Gar nix wird im Lot sein.

Wir müssen der Wahrheit ins Auge schauen: Man kann eine Entwicklung, die 32 Jahre lang eine Gesellschaft verändert hat, nicht von heute auf morgen umdrehen. Das wird Zeit brauchen.

Ich weiß nicht, ob es 32 Jahre dauern wird. Aber ich bin mir sehr sicher, dass -falls es denn überhaupt gelingen wird- es Jahrzehnte dauern wird. Und das macht es so schwierig für die Oppositionspolitiker, die immer nur auf den nächsten Wahltag, auf die nächste Umfrage, ja, auf die Schlagzeile des nächsten Tages schauen.

Die einzig richtige Ableitung, eine schmerzhafte freilich, ist meiner Meinung nach folgende: Man muss akzeptieren, dass man es selbst in seiner aktiven Zeit nicht mehr erleben wird, dass unsere Gesellschaft wieder ins Lot kommt. Dass Solidarität wieder von einer Mehrheit als erstrebenswert gesehen wird, für jeden und jede, egal, woher sie oder er kommen.

Noch einmal: Die Einsicht, dass man es selbst in seiner Zeit als Politiker nicht mehr erleben wird, das ist der Schlüssel. Wenn man das akzeptiert, dann ist die Umfrage von morgen wurscht, die Schlagzeile erst recht und ja, auch die nächste Wahl.

„Aber man kann denen ja nicht das Land überlassen.“ Ganz ehrlich: Ändert es etwas, wenn die Bevölkerung noch immer gleich denkt und man halt keinen Kickl mehr in einer Regierung hat? Ja, Kickl ist inakzeptabel. Aber es hat ihn ja wer gewählt. Weil viele so denken, viele eben in den letzten 32 Jahren gekippt  sind.

Die Wählerinnen und Wähler sind für ihr eigenes Handeln verantwortlich und sollen es daher auch spüren. Umgekehrt gilt das für Politikerinnen und Politiker auch.

Mein Ratschlag: Vergesst die nächste Wahl. Setzt Euch andere Ziele. Man kann 32 Jahre nicht mit ein oder zwei Wahlkämpfen aufholen oder vergessen machen. Ja, es wird ein langer Weg. Aber jeder Tag an dem man ihn nicht beginnt zu gehen ist ein verlorener Tag und wird dazu führen, dass es noch länger dauern wird.

Noch einmal: Akzeptiert, dass die Fehlentwicklung von 32 Jahren nicht in 5 oder 10 Jahren repariert werden kann. Es wird länger dauern. Wenn man nicht akzeptiert, dass dem so ist, dann noch sehr viel länger. Schmerzhaft, ich weiß.

Aber andererseits: Hat es nicht auch eine unheimliche Kraft, wenn man für sich weiß, dass man Politik nicht für sich selbst und den eigenen Erfolg macht, sondern als Teil eines größeren Vorhabens?